Hamburg. 10.000 Hamburger machten bei der Abendblatt-Aktion mit. Verteilung der Kleidung, Spielsachen und Hygieneartikel läuft auf Hochtouren.
Hassan und Ribi schwitzen ordentlich oben unter dem Flachdach, in der achten Etage des Hauses 5, Turm 8, auf dem Gelände des Otto-Konzerns in Bramfeld. In diesem Lager des Hermes-Versands, einem Otto-Tochterunternehmen, lagern noch etwas mehr als 30 Tonnen Kleidersäcke, Koffer, Taschen, Tüten, Hygieneartikel und Spielzeug – ein gewichtiges Zeichen von Menschlichkeit und Nächstenliebe, das von Tausenden von Hamburgerinnen und Hamburgern vor einem knappen Monat gesetzt wurde, als das Abendblatt dazu aufgerufen hatte, Sachspenden für die vielen Tausend Flüchtlinge in den Unterkünften ihrer Stadt abzugeben.
Der Job der beiden kräftigen bulgarischen Zeitarbeiter ist es, insgesamt zwei Dutzend Trollis mit Koffern, Taschen, Tüten und Spielzeug, grob vorsortiert, zu beladen: Auf die Ladefläche eines 7,5-Tonners passen sechs dieser rollenden, 2,50 Meter hohen Drahtkäfige, beladen rund 350 Kilogramm schwer. Eine Ladung soll das Zwischenlager in Richtung Bredowstraße verlassen, wo auf dem Gelände der Landesfeuerwehr-Akademie eine alte Maschinenhalle als Notunterkunft dient. Zwei weitere Fuhren sind zum Messegelände geplant, wo zurzeit etwa 1000 Flüchtlinge in der 13.000 Quadratmeter großen Halle B 6 untergebracht sind, eine Fuhre wird von der Kleiderkammer Wilhelmsburg abgeholt. „Jetzt haben wir auch wieder etwas mehr Platz“, sagt Norbert Meiburg von der gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeit und Integration „Passage“, die die Kleiderkammer auf der Flussinsel betreibt, „unsere Leute sortieren dann die Spenden vor Ort, und dann werden sie in der Erstaufnahme Poststraße verteilt.“
„Wieder etwas mehr Platz“: Diese vier Wörter beschreiben die Situation in allen Kleiderausgabestellen der Flüchtlingsunterkünfte vermutlich am besten. „Aus einer guten Idee ist längst eine logistische Mammutaufgabe geworden, ein echter Kraftakt, aber auch eine tolle Aufgabe“, sagt Sven Shaziri, der eigentlich die Haustechnik im Neubau der Funke-Mediengruppe verantwortet, in dem die Hauptredaktion des Abendblatts beheimatet ist. Seit dem Ansturm der 10.000 Leserinnen und Leser ist der 47-jährige gelernte Elektriker in die Rolle des Spendenverwalters geschlüpft und organisiert jetzt in Absprache mit dem Hermes-Versand sowie dem federführenden städtischen Sozialdienstleister „Fördern und Wohnen“ die Transporte der Abendblatt-Spenden. Er lässt seinen Blick über die Kofferberge schweifen. „Alles in allem sind das noch gut 35 bis 40 Lastwagenfuhren, die noch sortiert werden müssen“, sagt Shirazi.
Die Helfer können gar nicht so schnell sortieren, wie wieder Nachschub kommt
Von der Luthergemeinde in Bahrenfeld – zuständig für die knapp 3000 Flüchtlinge in der Unterbringung Schnackenburgallee – bis hin zum Kleiderkammer-Provisorium in einer Ecke der Halle B 7 auf dem Messegelände stehen die professionellen und vielen ehrenamtlichen Helfer vor dem Problem, dass sie die Spenden gar nicht so schnell weg- und aussortieren können, wie schon wieder Nachschub kommt.
Denn die Hilfs- und Spendenbereitschaft ist ungebrochen: Etwa alle fünf bis zehn Minuten hält ein vollbeladenes Privatauto vor der Schranke des Tors 2, gleich gegenüber der Untersuchungshaftanstalt. Das Sicherheitspersonal winkt die Spender längst unbürokratisch durch: „Fahren Sie am Zaun entlang, einmal rechts und dann wieder links – gleich in die Halle rein!“ Der zwei Meter hohe Drahtzaun ist mit grünem, blickdichtem Nylongewebe verkleidet, dahinter ragen die Dächer der etwa 35 aufgereihten Dixi-Toiletten hervor. Blicke in diese Notunterkunft der Flüchtlinge sind nicht erwünscht. Zwei kleine Jungen, vielleicht acht und zehn Jahre alt, stecken ihre Köpfe unter dem Drahtzaun durch. „Futbol! Futbol!“, rufen sie lachend – eine Ladung Fuß- und Basketbälle wird gerade von einem Sprinter der Hamburger Polizei, Polizeikommissariat 14, angeliefert. Aber bevor die Jungs mit ihnen spielen können, müssen Oberkommissar Gerloff und Hauptkommissar Freitag sie erst einmal aufpumpen.
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
Eva Schramm, 45, Mutter und Hausfrau, ist am Freitagnachmittag eine von nur sechs ehrenamtlichen Helferinnen, die sich in der Halle B7 zum teilweise leider auch unappetitlichen Job des Sortierens freiwillig gemeldet haben. „Es wäre total nett, wenn die Leute ihre Kleiderspenden vorher waschen könnten“, sagt Eva Schramm, der man die Erschöpfung – wie auch den anderen Freiwilligen – schon ein wenig ansehen kann. „Das betrifft vor allem Unterwäsche. Und vielleicht könnten die Leute mal dran schnuppern – vor allem dann, wenn die Klamotten in einem feuchten Keller gelagert wurden...“ Insgesamt aber sei es erfreulich, dass nur etwa zehn Prozent der Spenden sofort in den Müll wanderten. Alles andere wird so rasch wie möglich in Reihen nach Frauen-, Männer- und Kinderkleidung sortiert; vor den Kleiderhaufen liegen DIN-A-4-Zettel, auf denen die jeweiligen Größen gedruckt sind. „Was wir hier außerdem dringend bräuchten, wären Regale“, sagt Eva Schramm und schaut herüber zur Wand neben der „Türe zum Hof“ des „Camps“, durch die spätestens ab Montag Flüchtlinge in Gruppen zur „Kleiderausgabe“ durchgeschleust werden sollen. Dort stehen gerade mal vier alte IKEA-Holzregale, das reicht nicht mal für die gespendete Unterwäsche.
Allein im Juli suchten 5709 Menschen in Hamburg Schutz
Martina Harnack, die für „Fördern und Wohnen“ normalerweise die Ein- und Verteilung der Ehrenamtlichen in Harburg managt, schlägt kurz die Hände vors Gesicht, als die beiden Hermes-Lastwagen aus Bramfeld in die Halle rollen und weitere vier Tonnen Hilfsgüter abladen. „Die Aktion war wirklich super“, sagt sie dann, „aber was wir jetzt am aller dringendsten benötigen, sind Zeitspenden: Menschen, die mitsortieren wollen – gerne auch dann, wenn sie nur zwei Stunden erübrigen können.“ Das allerdings solle auf keinen Fall heißen, dass Kleiderspenden nicht nach wie vor willkommen seien: Allein im Juli 2015 suchten 5709 Menschen in Hamburg Schutz, die meisten von ihnen kamen aus Albanien (387), Syrien (330), Afghanistan (301) und Eritrea (259). Und es ist sicher mehr als bloß eine Vermutung, dass der Flüchtlingsstrom in den kommenden Wochen und Monaten eher größer als kleiner werden wird. „Männerkleidung in kleinen Größen und Schuhe sind nach wie vor knapp“, sagt Martina Harnack.
Nicht einmal 24 Stunden später werden die Bitten der Ehrenamtlichen aus der Halle B7 erhört. Die Hilfsbereitschaft ist schier unglaublich: Weit über 50 Freiwillige aus dem Karoviertel (Informationen gibt es auf der Facebook-Seite „Refugees welcome – Karoviertel“) packten am Wochenende nach einer ersten Informationsveranstaltung, zu der am Freitagabend fast 500 „Nachbarn“ im „Knust“, erschienen waren, zusätzlich beim Sortieren in der Messehalle mit an. Gleichzeitig hat die Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V. im Bauhaus Stellingen 20 Schwerlastregale besorgt, die am Wochenende aufgebaut wurden. „Ganz toll war der Leiter des Bauhauses in Stellingen und seine MitarbeiterInnen: Alle haben schnell gearbeitet, und er hat selbst mit angepackt; den Transport hat er gesponsert und auch noch Rabatt gegeben. Danke auch dafür!“, schrieb die Bürgerschaftsabgeordnete und Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Hendrikje Blandow-Schlegel (SPD) am Sonntag auf ihrer Facebook-Seite, „allen muss klar sein, dass die geflüchteten Menschen dort gerade erst angekommen sind in Hamburg. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen beistehen.“