Erst feierten die Schanzenviertelbewohner und ihre Gäste friedlich. Nach Einbruch der Dunkelheit kamen die Randalierer.
Hamburg. Wo noch am Nachmittag Kinder die Luft mit Seifenblasen füllten und der Geruch von Grillwürsten zu riechen war, flackern sieben Stunden später meterhohe Flammen in den Himmel. Es riecht nach verbranntem Plastik. Rund um das Feuer vor dem Hamburger Autonomentreff Rote Flora haben sich mehrere hundert Menschen versammelt. Einige von ihnen strecken die geballte Faust in die Höhe und rufen: „A.C.A.B., All Cops Are Bastards!“ Auch in diesem Jahr brennen nach dem Hamburger Schanzenfest Mülltonnen. Die Scheiben eines Bankhauses gehen zu Bruch. Größere Straßenschlachten zwischen der Polizei und Randalieren bleiben aber aus.
Dabei hatte der Sonnabend ganz anders begonnen. Auf den Straßen rund um das Autonomenzentrum Rote Flora spazierten Menschen und genossen die Sonne, als habe sie in diesem Jahr zum ersten Mal geschienen. Auf dem Gehsteig entlang einer großen Straße hatten Anwohner einen Flohmarkt organisiert. Junge Familien verkauften alte Schallplatten, Kleider und Ledertaschen. In einem kleinen Park lagen die Menschen auf frisch gemähtem Gras. Wenige Meter neben ihnen tanzten andere zu elektronischer Musik. Die Straßen waren übervoll mit Menschen.
Am Abend sind die Straßen etwas leerer geworden. Ein Aufgebot von 2.100 Polizisten hält sich bereit, um mögliche Randale zu verhindern. Ab 23.00 Uhr hat die Polizei ein sogenanntes Gefahrengebiet rund um das Schanzenviertel eingerichtet. In diesem Bereich können die Beamten bis Sonntagmorgen 5.00 Uhr verdachtsunabhängig Platzverweise erteilen, Aufenthaltsverbote aussprechen oder Personen in Gewahrsam nehmen.
Hiergegen protestieren zwei junge Frauen und ein Mann. Die drei haben mitten auf der Straße einen Alten Schreibtisch aufgebaut. „Passierscheine, hier gibt es Passierscheine“, ruft der Mann, der sich als Oberamtsrat Schmitt vorstellt und eine alte Polizeimütze trägt. Seinen wirklichen Namen will er nicht verraten. „Mit der Aktion wollen wir das Gefahrengebiet ins Lächerliche ziehen“, erklärt „Herr Schmitt“. „Wir wollen nicht, dass Menschen ohne Verdacht kontrolliert werden können“, sagt er. Das sei unanständig. Doch als gegen 22.30 Uhr die Stimmung rund um die Rote Flora kippt, müssen auch „Herr Schmitt“ und seine Helferinnen die Straße räumen.
Zunächst knallen nur Feuerwerkskörper. Dann holen einige Jugendliche Müllsäcke herbei, stapeln sie auf der Straße vor dem Autonomenzentrum und zünden den Kunststoff an. Schnell versammelt sich eine johlende Menge um das Feuer. Wenig später schieben zwei andere junge Männer einen Müllcontainer in die Flammen. Aus den brennenden Müllsäcken ist innerhalb von zwanzig Minuten ein Feuer mit vier Meter hohen Flammen geworden. Schaulustige zücken ihre Kameras und schießen Bilder.
Kurz darauf laufen mehrere Personen mit Eisenstangen in der Hand in Richtung einer Bankfiliale. „Jetzt nehmen die die Bank auseinander“, sagt eine junge Frau entsetzt. Die Schläge mit den Stangen auf die heruntergelassenen Rollläden der Bankfiliale hallen über die Straße. Erste Scheiben gehen zu Bruch. Nur wenige Minuten später stürmen Einsatzhundertschaften der Polizei auf die Filiale zu. Drei Wasserwerfer kommen herangefahren. Die Flutlichter der Fahrzeuge leuchten die Straße taghell aus. Als die ersten Wasserfontänen auf die Straße peitschen, rennt die Menge auseinander.
Um kurz nach Mitternacht ist von dem Feuer nur ein schwarzer dampfender Haufen übrig geblieben. Wo eine Stunde zuvor noch das Flackern der Flammen zu sehen war, blinken jetzt die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge. Das sollte der einzige größere Einsatz der Polizei in dieser Nacht gewesen sein. In Seitenstraßen des Schanzenviertels flackern noch vereinzelt kleinere Feuer auf. Doch die werden von den Beamten schnell gelöscht.
Die Polizei nimmt nach eigenen Angaben 30 Personen vorläufig fest und weiter 10 Personen in Gewahrsam. Fünf Beamte werden leicht verletzt. Um 1.30 Uhr fahren die ersten Kehrmaschinen über das Kopfsteinpflaster. Dann kehrt für diese Nacht Ruhe ein im Schanzenviertel. Bis zum nächsten Jahr.