Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.
Hamburg. Eigentlich müsste sie kaum in der Lage sein, die Augen offen zu halten. Mühsam kämpft sie gegen die Müdigkeit an, die sie zu übermannen drohte. Zwei Schlaftabletten hatte Ines V. in der Hoffnung genommen, wenigstens ein klein bisschen Nachtruhe zu bekommen vor diesem nervenaufreibenden Tag, der ihr offenbar wie eine schwere Prüfung bevorsteht. Doch die Medikamente haben ihre Anspannung nicht bekämpfen können. Ein Nervenbündel ist die junge Frau, die jetzt im Prozess vor dem Amtsrichter sitzt, in kerzengerader Haltung, wie zum Sprung bereit. "Man wird Ihnen hier schon nicht den Kopf abreißen", versucht der Amtsrichter die 26-Jährige zu beruhigen. Eine Versicherung, die sie mit einem gequälten, schüchternen Lächeln quittiert.
Die Kauffrau scheint bis heute nicht fassen zu können, was sie am 5. September vergangenen Jahres beim Schanzenfest angerichtet hat. Eine Glasflasche soll sie in jener Nacht in Richtung von Polizisten geworfen haben, lauten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die die Hamburgerin wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt hat. Die Beamten seien nur deshalb nicht zu Schaden gekommen, weil das Wurfgeschoss kurz vor ihnen aufschlug, heißt es.
Und tatsächlich räumt die junge Frau, adrett zurechtgemacht mit Hochsteckfrisur und Perlenkette, die Tat unumwunden ein. Sie sei den ganzen Tag auf dem Straßenfest gewesen und habe auch Alkohol getrunken, erinnert sich die Angeklagte. "Warum ich die Flasche geworfen habe, weiß ich nicht", ergänzt sie schulterzuckend. "Ich gehöre nicht in die Szene. Das passt gar nicht zu mir." Sie habe sich schon beim Werfen gefragt: "Warum machst du das eigentlich?" Wie weit sie die Flasche geschmissen habe, "weiß ich nicht. Ich bin eine schlechte Werferin. Und ich habe auch nicht beobachtet, wo sie gelandet ist." Bei der Polizei hatte Ines V. seinerzeit die Tat ebenfalls sofort eingeräumt. Sie habe sich "möglicherweise hinreißen lassen, um mich zu profilieren", hatte sie nach einer Erklärung gerungen.
Die Attacke der Angeklagten sei bei dem Schanzenfest "einer von vielen Flaschenwürfen gewesen", erzählt ein Polizist, in dessen Nähe das Geschoss schließlich landete, als Zeuge vor Gericht. Er sei seinerzeit auf die Frau aufmerksam geworden, die, ganz in Weiß gekleidet, "eine Ausholbewegung machte. Dann hat sie einen Gegenstand in unsere Richtung geworfen, die Flasche landete vier bis fünf Meter vor uns."
Ob es ein "dynamischer, kraftvoller" Wurf gewesen sei "oder eher ein Würfchen", hakt der Amtsrichter nach. "Mehr ein Würfchen?", präzisiert der Zeuge. Auch bei ihrer Festnahme sei Ines V. eher zurückhaltend gewesen. "Sie war überrascht und etwas patzig, dann beruhigte sie sich aber." Meist sei es so, dass Flaschenwerfer versuchten wegzulaufen und sich bei der Festnahme wehrten. Auch mit ihrer auffallend weißen Kleidung, differenziert der Polizist auf Nachfrage der Verteidigerin, habe sich Ines V. von anderen Randalierern unterschieden. "Die sind meist dunkel gekleidet."
"Wer aus 20 Meter Entfernung eine Flasche wirft, nimmt es billigend in Kauf, dass er jemanden trifft und verletzt", betont der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Gleichwohl hebe sich die Tat von Ines V. "deutlich positiv" ab von vergleichbaren Fällen. Trotzdem bleibe es "ein grundloser Angriff auf Menschen, die alle ihren Dienst versehen zum Schutze der Bevölkerung. Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie man so was machen kann", überlegt der Ankläger und beantragt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 30 Euro.
Die Verteidigerin indes hält den Fall für ein Vergehen, das mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, einer sogenannten Geldstrafe auf Bewährung, ausreichend sanktioniert sei. Ihre Mandantin sei nicht jemand, der eine Verletzung eines anderen Menschen "von Herzen wirklich gewollt hat", argumentiert die Anwältin. Allein, sich vor Gericht verantworten zu müssen, sei für Ines V. extrem belastend und Strafe genug. "Sie wird so etwas nie wieder tun."
Auf eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu 30 Euro erkennt schließlich der Amtsrichter. Tatsächlich habe die Angeklagte mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Denn jeder müsse bei vernünftiger Überlegung erkennen, dass er mit einem Flaschenwurf jemanden verletzen könne. Zudem habe Ines V. sich selber als "schlechte Werferin" eingeschätzt, da sei sie nicht in der Lage, einen Wurf genau zu dosieren. Das Urteil müsse in jedem Fall "eine generalpräventive Wirkung haben", betont der Richter an Ines V. gewandt. "Sie sind nicht die Erste, die aus Spaß oder Übermut eine Flasche wirft."