Annegret Kramp-Karrenbauer wagt einen Vorstoß für ein Pflichtjahr. Dieser Bürgerdienst würde Brücken bauen.

So viele Gegner muss man sich erst einmal machen. Nachdem die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erneut ein Pflichtjahr für Jugendliche ins Spiel gebracht hat, prasselt Kritik von allen Seiten auf sie ein.

Die Grünen mäkeln, und die CSU ist höchstens für Freiwilligkeit. Die ganz große Keule holte FDP-Chef Christian Lindner heraus: Der Staat solle Freiheit garantieren und nicht als „Vormund oder Erzieher auftreten: „Ein ganzes Lebensjahr junger Menschen würde verstaatlicht, nur damit die CDU sich parteipolitisch profilieren kann“, sagte er. Auch Juso-Chef Kevin Kühnert entdeckt plötzlich die Freiheit und warnt vor „einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit jedes jungen Menschen“. Wobei sich die Frage stellt, ob es dieser ganz großen Koalition der Kleinmütigen wirklich um die Freiheit geht oder doch um die Freizeit.

Interessanterweise sehen die Bürger die Idee der CDU-Chefin deutlich differenzierter; eine Umfrage erbrachte eine deutliche Mehrheit für einen solchen Dienst. Auch viele Jugendliche reagieren positiv: Immerhin 40.000 Menschen leisten jährlich ihren Bundesfreiwilligendienst, genauso viele ein Freiwilliges Soziales Jahr – und das Interesse übersteigt die Zahl der Stellen deutlich.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. © HA | Andreas Laible

Allerdings hat diese Freiwilligkeit einen Schönheitsfehler: Sie erreicht nur junge Menschen, die ohnehin sozial engagiert sind. Es sollte aber darum gehen, allen Jugendlichen neue Erfahrungen zu ermöglichen. Wer früher zum Zivildienst gezwungen wurde, freute sich darüber zunächst eher selten – und war am Ende doch froh über die Erfahrungen und das Erlernte. Nach den 20 Monaten war man reifer, selbstbewusster und hatte seinen Horizont erweitert.

Ein Pflichtjahr für Jugendliche würde Brücken bauen

Ein verpflichtendes Jahr bringt den Betroffenen mehr als das populäre Chillen nach dem Abitur. Und es bringt der Gesellschaft – und nebenbei auch dem Klima – mehr als das weit verbreitete „Work and Travel“. Was wäre es für ein Gewinn, wenn Abiturienten im Altenheim, junge Geflüchtete in Museen, Arbeitslose in Krankenhäusern, Schulabbrecher bei der Feuerwehr oder Städter im Naturschutzgebiet helfen!

Es geht nicht darum, dass sie Lücken stopfen oder reguläre Arbeitskräfte ersetzen, sondern dass sie ihre Zeit spenden: für Kinder, Alte, Kranke, Alleinstehende. Und dass sie Angebote ermöglichen, die anders nicht möglich wären. Ein solcher Bürgerdienst würde Brücken bauen in einer Gesellschaft, die sich zusehends spaltet und immer weiter auseinanderfliegt.

Wenn Jugendliche aus Billstedt und Blankenese gemeinsam Dienst tun, wenn Schulversager auf Überflieger, Deutsche auf Migranten träfen, verlassen alle ihre Milieus, ihre Blase von Gleichgesinnten, und würden die Vielfalt der Gesellschaft hautnah erleben. Es wäre Bildung im besten Sinne: ein Lernort für Jugendliche und die Gesellschaft, Bildung für jeden Einzelnen und die Gemeinschaft, eine Chance zur Integration und zum Abbau von Vorurteilen.

Der Staat als Organisator des solidarischen Miteinanders

Natürlich kostet das alles Geld, das Familienministerium rechnet mit fünf bis zwölf Milliarden Euro – aber die Dividende für die Gesellschaft fiele ungleich höher aus: Wir würden den Staat nicht nur als Dienstleiter oder Selbstbedienungsladen wahrnehmen, sondern als Organisator des solidarischen Miteinanders und lernen, dass eine funktionierende Demokratie eben nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten verbunden ist.

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat nun einen Pflichtdienst für Jugendliche eingeführt. Sie sollen jetzt zwei Wochen außerhalb ihrer Heimatregion in Internaten untergebracht werden. Dieser Dienst wird nach Vorstellung des Pariser Bildungsministeriums morgens mit einem Fahnenappell in Uniform und dem Singen der Nationalhymne, der „Marseillaise“, beginnen. Ganz so nationalistisch sollte das deutsche Pflichtjahr nicht ausfallen, aber was spricht eigentlich gegen ein verpflichtendes letztes Schuljahr, dass die Jugendlichen eben nicht in einer Bildungseinrichtung, sondern im echten Leben verbringen?

Der kluge Publizist Mathias Greffrath zählt zu den Befürwortern eines Pflichtjahres und präsentierte kürzlich in der Patriotischen Gesellschaft seine Idee: „Ein solcher Bürgerdienst wäre eine politisch-moralische Wende oder, wer das Wort lieber mag, eine Kulturrevolution.“