Der Welthandel stottert, der Populismus blüht: Die Rückkehr des Nationalismus hat vielleicht gerade erst begonnen.
Das Jahr 2016 wird in die Geschichtsbücher eingehen – als Ende einer Ära, die man Globalisierung nannte. Ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer wähnte man die Welt auf einem guten Weg: Den Fall der Grenzen, das Zusammenwachsen der Staaten und die zunehmende Arbeitsteilung hielten viele für einen unumkehrbaren Prozess. Die Welt schien auf dem Weg zum globalen Dorf, in dem es vielen immer besser geht. Inzwischen ahnen wir: Erstens kommt es anders – und zweitens, als man denkt.
Die Entscheidung der Briten vom 23. Juni 2016 gegen Europa und die Präsidentschaftswahl vom 8. November 2016 mit dem Sieg von Donald Trump sind Wegmarken von weltgeschichtlicher Wucht. Trump und die Brexiteers wurden erst verlacht, dann nicht ernst genommen und bis zur Stunde ihres Sieges stets unterschätzt. Wenngleich mehrere Faktoren ihren Triumph ermöglichten, waren sie zugleich Anti-Globalisierungsbewegungen in den Mutterländern der Demokratie. Ja, es war das Aufbegehren der „Somewheres“ gegen die „Anywheres“.
So hat der englische Publizist David Goodhart die beiden großen Gruppen in modernen Gesellschaften genannt: Die „Anywheres“ sind gut ausgebildet und wohlhabend, ihr Feld ist die Welt, sie arbeiten heute hier, morgen dort und fühlen sich als Weltbürger, als Kosmopoliten. Die „Somewheres“ haben weniger gute Jobs, sind heimatverbunden, sicherheitsorientiert, ihre Identität ist an den Ort und die Gruppe gebunden. Die Triumphe von „Make America Great Again“ und „We Want Our Country Back“ zeigen, wo die Mehrheiten stehen.
Globalisierung hat die Stabilität vieler Staaten unterspült
Einer der Gründe für die Wut dürfte die Finanzkrise des Jahres 2008 nebst ihren Folgen sein – es war die globale Finanzelite der „Anywheres“, welche die Welt an den Abgrund spekulierte, aber es waren die „Somewheres“, die in der Krise ihre Jobs oder Häuser verloren. Da Deutschland glimpflich aus dieser Depression kam, übersehen wir diese Zusammenhänge zu oft. Die Globalisierung hat die Stabilität vieler Staaten unterspült – und verliert nun an Einfluss.
Eine Verheißung ist sie für viele längst nicht mehr. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nannte die Flüchtlingswelle 2015 ein „Rendezvous unserer Gesellschaft mit der Globalisierung“. Man mag es bedauern, aber aus dem Rendezvous wurde bei vielen keine große Liebe.
Wirtschaftlich fällt die Globalisierung auch als Wachstumsmotor aus. Seit 2011 wächst der Welthandel nicht mehr schneller als die Industrieproduktion. Für das laufende Jahr rechnet die Welthandelsorganisation nur noch mit einem Plus des internationalen Warenverkehrs von kümmerlichen 1,2 Prozent. Und das könnte noch optimistisch sein. Donald Trump führt einen ökonomischen Zweifrontenkrieg gegen China und Europa, er erhöht Zölle und hat ein Jahrzehnt des Protektionismus eingeläutet. Für Deutschland, das in der Vergangenheit zu einseitig auf den Export gesetzt hat, sind das schlimme Nachrichten.
Europa ist ein Kontinent, der auseinanderdriftet
Zugleich ändert sich die Struktur der Konfliktlösung: Die Idee des Multilateralismus, einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zum Wohle aller, ist auf dem Rückzug. Auch wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewinnend lächelt – Europa ist derzeit keine Gemeinschaft, die immer enger zusammenwächst, sondern ein Kontinent, der auseinanderdriftet. Das Eigeninteresse regiert: Mit Polen und Griechenland fordern gleich zwei Staaten milliardenschwere Reparationen von der Bundesrepublik wegen der Untaten im Zweiten Weltkrieg. In vielen Staaten obsiegen Populisten. Selbst skandinavische Staaten suchen ihr Heil in einer Abschottung.
Sogar die „Fridays for Future“-Bewegung – mag sie noch so international daherkommen – könnte am Ende die Globalisierung weiter ausbremsen. Schon jetzt diskutieren viele Menschen, ob sie sich eine Flugreise wegen der katastrophalen Klimabilanz noch leisten dürfen. Wenn die ökobewegte Jugend sich dieser Frage ehrlich stellt, wird ihr Weltenbummeln, das Tauchen in Thailand, das Studium in Saragossa oder die Party in Paris nicht mehr Alltag sein – unser Leben wird kleiner, die Welt wieder größer. Für das Klima sind das gute Nachrichten, für die wirtschaftliche Entwicklung gerade der ärmeren Länder und für die Stabilität der Welt eher nicht.
Vielleicht werden wir die Globalisierung, die heute viele verdammen, dereinst als „goldene Ära“ feiern.