Hamburg. Das ist vor allem für die Rechtspopulisten eine gute Nachricht – und sollte allen Demokraten Warnung sein.

In dieser Woche haben die Hamburger Grünen ihr „Regierungsprogramm“ vorgestellt – schon der Name zeigt, dass der Noch-Juniorpartner derzeit wie John Wayne durch die politische Kulisse stapft: In dem Programm steht viel Vernünftiges, leider auch etwas extrem Unvernünftiges: Offenbar will die Partei ihr Image als „Verbotspartei“ abstreifen und schlägt nun vor, Cannabis zu legalisieren. Vom Rathaus bis zum Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE ist es nicht weit – vielleicht sollte die grüne Fraktion einmal eine Dienstreise an die Martinistraße machen. Und wenn sie schon unterwegs ist, gleich ins Polizeipräsidium weiterradeln: Dort hat die Idee, das Vermummungsverbot aufzuweichen, Entsetzen ausgelöst.

Wer wie weiland beim G-20-Gipfel mit Sturmhaube durch die Stadt marschiert, darf nun mit der Gnade der Grünen rechen: Vermummung wäre fortan nur noch eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat mehr. Mit einer solchen Änderung hätte man der Polizei fortan bei jeder Radikalendemo den Schwarzen Peter zugespielt: Greift sie ein, wird es heißen, sie eskaliere ohne Not. Schaut sie zu, wäre sie am Ende ebenfalls schuld. Die grüne Volkspartei kokettiert hier mit dem linken Rand.

Aber was bleibt ihr auch anderes übrig? Die Republik marschiert seit Jahren nach links – und reißt alle mit. Das ist auch beim Schaulaufen der SPD-Kandidaten zu beobachten. Aus dem Kampf um den Vorsitz der traditionsreichen Partei ist ein Überbietungswettbewerb sozialer Versprechen geworden – derzeit an der Spitze liegen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die ein 500-Milliarden-Investitionsprogramm fordern. Fast alle Kandidaten wollen nur noch raus aus der verhassten GroKo. Franz Müntefering wusste: „Opposition ist Mist“ – für viele Sozialdemokraten ist sie heute Paradies, Wunderland und Eldorado zugleich.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblattes. © HA | Andreas Laible

Sollten die Genossen mehrheitlich die Flucht aus der Verantwortung wählen, droht ein weiterer Linksruck der Sozialdemokratie. Dieser würde dem Hamburger SPD-Kandidaten Peter Tschentscher im Bürgerschaftswahlkampf einen Mühlstein um den Hals hängen. Die SPD ist als „CSU des Nordens“ Hamburg-Partei geworden – mit einer Integrationskraft, die über die linke Mitte hinausreicht.

Merkel hat rechts der Mitte einen großen Raum aufgespannt

Aber auch die SPD ist längst Getriebene. Ihr Linksruck ist ein Ergebnis der Merkel-Politik: Was für die CDU eine Zeit lang gut war, ist für das Land längst fatal. Merkel hat rechts der Mitte einen großen Raum aufgespannt, welchen die AfD bespielen kann. Diese Partei, die sich innerhalb weniger Jahre in bestürzender Geschwindigkeit radikalisiert hat, ist Nutznießer der Linksdrift und ihr Verstärker zugleich: Weil sich viele Politiker nachvollziehbarerweise von der AfD und ihren Scharfmachern distanzieren wollen, grenzen sie sich zugleich von allen Ideen ab, die irgendwie „rechts“ zu sein scheinen.

Viele werden dabei gar nicht von linken Parolen angezogen, sondern von der AfD abgestoßen. Ganze Themenfelder gehen so kampflos an die Populisten. Das Problem dabei: Die Wähler ticken leider anders. Viele in der rechten Mitte sind heimatlos geworden. Diese politische Heimatlosigkeit könnte langfristig zu einer Gefahr für die Demokratie wachsen.

Leider versagen auch viele Medien beim Versuch, den Diskurs in seiner Breite abzubilden: Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk läuft Gefahr, nach dem Flüchtlingsüberschwang des Jahres 2015 nun einer eindimensionalen Greta-Begeisterung aufzusitzen: So richtig es ist, dass Deutschland endlich den Klimaschutz ernst nimmt – auch hier sind kritische Meinungen und Kontroversen legitim. Wer jeden Widerspruch ausgrenzt, erledigt das Geschäft der Populisten. Wer Denkverbote erlässt, wird nicht das Denken verbieten, sondern die Menschen verlieren.

Hier liegt auch die Gefahr der Klimadebatte mit ihrem moralischen Rigorismus, der kein „aber“ erträgt. Jugendliche dürfen zornig sein, Politik darf es nicht. Radikalität sollte nie den Versuch ersetzen, Menschen zu überzeugen und mitzunehmen. Wer zweifelt, ist nicht per se böse, sondern muss ein Diskussionspartner bleiben. Wie schrieb Kurt Tucholsky 1925 in der „Weltbühne“: „Aus seiner Zeit kann Keiner springen/Und wie beneid ich Die, die gar nicht ringen/Die habens gut./Die sind schön dumm.“