Hamburg. Warum interessiert Millionen Menschen in Deutschland das Jawort eines Windsors ? Wir leben in einer Republik.

Ist Linda de Mol schuld, die zwischen 1992 und 2000 in der sinnbefreiten „Traumhochzeit“ stets der Braut ihr akzentuiertes „Du siehst beschaubernd aus“ entgegensäuselte? Sind es die Berge von Yellow-Press-Titeln, die beim Friseur von Kabale und Liebe bei Königs und Herzogs erzählen? Oder leiden viele Deutsche heimlich an einem Phantomschmerz, nachdem wir vor 100 Jahren die Könige davongejagt haben?

Anders ist kaum zu erklären, warum ausgerechnet die Hochzeit der Nummer sechs in der britischen Thronfolge mit der unbedeutenden Schauspielerin Meghan Markle zu einem internationalen Großereignis hochgejazzt wird. RTL und ZDF rufen gar den medialen Ausnahmezustand aus. Das ZDF berichtet ab 11 Uhr vier Stunden über „Harry & Meghan – Die Traumhochzeit“. Bei RTL wird ebenfalls ab 11 Uhr vor-, live und nachberichtet und dann die Schmonzette „Harry & Meghan – eine königliche Romanze“ obenauf gepackt! Knapp sieben Stunden Stoff, aus dem die Träume sind.

Nach einer längeren Pinkelpause mit dem Boulevardmagazin „Explosiv“ wird den Zuschauern wieder der Hochzeitsmarsch geblasen: Ab 20.15 Uhr geht es erneut um royale Hochzeiten. Mit Werbepausen, aber ohne Wiederholung kommt RTL auf knapp zwölf Stunden. Vielleicht sollten ein paar Novemberrevolutionäre mal beim Kölner Privatsender vorbeischauen. Selbst der vermeintliche Nachrichtenanbieter Phoenix bezaubert seine Zuschauer mit diversen Dokus à la „Zwei Prinzen für die Krone“ oder „Wie deutsch ist die Queen?“. Leider nicht im Programm: „Wie dämlich sind die Deutschen?“

Kein Medium, auch das Abendblatt nicht, kommt ohne die „Hochzeit des Jahres“ aus. Vermutlich sehnen wir uns angesichts realer Katastrophenmeldungen einfach nach Rosamunde-Pilcher-Seligkeit. Abstruse Nebensächlichkeiten werden zu Topthemen: Die „Bunte“ misst aufgeregt die Koffergröße: „Ihre Mutter kommt! Doch ihr Gepäck macht uns stutzig.“ Politisch korrekt wie üblich titelt der „Tagesspiegel“: „So will das Brautpaar Behinderten und Obdachlosen helfen“. Die Kollegen vom SHZ setzen auf Nutzwert: „So können Sie auch ohne Hochzeitseinladung live dabei sein“ – vielleicht ist unsere Einladung ja in der Post verloren gegangen!

Der einstmals investigative „Stern“ fragt seine Leser allen Ernstes: „Freuen Sie sich für Harry und ­Meghan?“ Da die Antwort auf so eine brisante Frage naturgemäß schwerfällt, gibt Stern.de die Antwort vor: „Ja, die beiden sind ein tolles Paar“ oder „Nein, er sollte besser Junggeselle bleiben“. Was soll man dazu sagen?

Einer älteren Emnid-Umfrage zufolge wünscht sich jeder elfte Deutsche einen König oder eine Königin, bei den 14- bis 25-Jährigen ist es gar jeder siebte. Dabei sind die strahlenden Vorbilder unter den Monarchen – wie Herzogin Anna Amalia eins war – rar gesät. Dafür sind Pleitiers wie Ludwig II. von Bayern oder Menschenschinder wie Leopold II. von Belgien überrepräsentiert. Zudem ist eine Monarchie eine ziemlich teure Angelegenheit – für die Untertanen. Die Queen kostet die Briten im laufenden Haushaltsjahr 96 Millionen Euro.

Darin sind Kosten für Mitarbeiter, Reisen, Empfänge und zur Erhaltung von Schlössern und Gärten enthalten. In diesem Jahr ist der Etat explodiert, weil der Buckingham-Palast saniert wird – bei 775 Räumen geht das ins Geld. Noch teurer pro Untertan ist König Harald von Norwegen, den die Skandinavier für Haus und Hof mit 49,1 Millionen Euro aushalten. Fürst Albert, den Forbes auf eine Milliarde Euro schätzt, bekommt jährlich ein fürstliches Budget von 43,5 Millionen Euro.

Weil da manche Untertanen murren, hat eine Gutachterfirma nun errechnet, dass das Königshaus der britischen Wirtschaft auch zwei Milliarden Euro bringt. Tatsächlich ist allein das Merchandising millionenschwer – wer Harry und Meghan bei Google in die Suchmaschine eingibt, bekommt gleich verschiedene Tassen mit Konterfei des Hochzeitspaars vorgeschlagen. Der nächste Polterabend kommt bestimmt.

Vielleicht sollte sich ein Land einfach glücklich schätzen, das bei König zuerst an ein Bier und bei Kaiser an Fußball denkt. Und den royalen Taumel auf der Insel als stillen Feiertag der Repu­blik begeht.