Hamburg. Die Hamburger Verantwortlichen suchen die Gründe für den erneuten Nichtaufstieg bei anderen. Wo bleibt die Selbstkritik?
Tim Walter klopfte sich vor den feiernden Fans auf die Raute, die Spieler drehten eine Ehrenrunde, das ganze Stadion spendete Applaus. Wer die Szenen nach dem Relegationsrückspiel zwischen dem HSV und dem VfB Stuttgart (1:3) als neutraler Zuschauer beobachtete, hätte zunächst nicht wissen können, wer an diesem Abend der Sieger war. Der HSV hatte soeben zum fünften Mal in Folge den Aufstieg verpasst. Doch die Anhänger feierten ihr Team – und auch sich selbst.
Was aber bedeutet der erneute Klassenverbleib für den HSV und seine Verantwortlichen? Der HSV steht wieder für etwas, wird Trainer Tim Walter nicht müde zu betonen. Aber wofür steht der Europapokalsieger von 1983 nach fünf Jahren Zweite Liga? Zum einen ganz offensichtlich für den unerschütterlichen Support der Zuschauer.
Wer die erste Halbzeit gegen Stuttgart im Stadion erlebt hat, dürfte sich an legendäre Europapokalabende erinnert gefühlt haben. Das Volksparkstadion kann mit seinen Fans eine Kraft entwickeln, die Sebastian Schonlau nach dem Spiel als „einmalig“ beschrieb. Dass der HSV trotz teilweise horrender Eintrittspreise in der weltweiten Zuschauerrangliste auf Platz 20 liegt – einen Rang vor den englischen Topclubs Manchester City und dem FC Liverpool – ist rational nicht zu erklären und sicher auch ein Verdienst von Walter und seinem Spektakel-Fußball.
HSV-Fans sorgen bundesweit für Aufmerksamkeit
Vor allem aber zeigt die unaufhörliche Liebe der Fans, dass das gemeinsame Hoffen und Leiden ein Teil der HSV-DNA geworden ist. Warfen die Ultras auf der Nordtribüne nach dem Abstieg vor fünf Jahren noch dunkle Rauchtöpfe auf den Rasen und sorgten damit für einen unwürdigen Abschied aus der Bundesliga, feierten die Fans ihre Mannschaft nach dem 1:3 gegen Stuttgart mit minutenlangen Sprechchören. Das ist es, was Walter mit der neuen Identität gemeint hat. Der HSV steht auch bundesweit wieder für etwas.
Rein sportlich steht der HSV aber auch im siebten Jahr in Folge vor allem für eines: Das stetige Verpassen der gesteckten Ziele. Bruno Labbadia war es 2016 letztmals gelungen, mit Platz zehn in der Bundesliga den Erwartungen gerecht zu werden. Seitdem ist der HSV in jedem Jahr seinem eigenen Anspruch hinterhergelaufen. Auch Sportvorstand Jonas Boldt und Trainer Walter haben es zum wiederholten Mal nicht geschafft, die Maßgabe zu erfüllen.
Verletzte dürfen keine Ausrede beim HSV sein
Man muss Walter zugutehalten, dass er in seinen beiden Jahren die bislang beste Punkteausbeute der HSV-Zweitligageschichte erreicht hat und sich im zweiten Jahr auf 66 Punkte gesteigert hat. Aber er hat sich verbal auch weit aus dem Fenster gelehnt und den Aufstieg mehrfach versprochen. Dass er die Gründe für das verpasste Ziel vor allem bei anderen sucht („wir haben immer wieder auf die Fresse bekommen“), passt zu seinem Führungsstil. Kritik ist nicht erwünscht. Selbstkritische Töne waren auch dann nicht zu vernehmen, als der Nichtaufstieg besiegelt war.
Stattdessen habe es an der Sperre von Mario Vuskovic und den Langzeitverletzten Katterbach und Nemeth gelegen. Natürlich war der Vuskovic-Ausfall ein Faktor. Doch Darmstadt 98 hatte über weite Strecken der Saison deutlich mehr verletzte Stammspieler zu verzeichnen.
Doch während sich Trainer Torsten Lieberknecht den Umständen anpasste, zog Walter sein Ding durch. Ob mit zehn Mann im Derby bei St. Pauli oder bei einer Führung in Darmstadt – tiefes Verteidigen ist für Walter keine Option. So verlor der HSV entscheidende Punkte, die am Ende fehlten. Was aber sagte Walter: „Für das Budget, das wir zur Verfügung haben, ist es nicht so einfach.“ Dabei hatte der HSV auch in dieser Saison den wahrscheinlich höchsten Etat der Liga.
St. Pauli und der HSV beim Budget auf Augenhöhe
Die Hamburger allein an ihren Ausgaben zu messen, wäre aber auch zu einfach. Clubs wie Hannover 96, Fortuna Düsseldorf und selbst der FC St. Pauli haben nicht viel weniger investiert. Der Stadtrivale dürfte beim Budget in der kommenden Saison sogar auf Augenhöhe mit dem HSV sein. Mit Schalke 04 und Hertha BSC kommen zwei Schwergewichte dazu, die den Aufstieg nicht leichter machen.
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Es ist verständlich, dass Boldt den Weg der Kontinuität mit Walter gehen will. Will der HSV den nächsten Schritt in der Entwicklung gehen, ist eine selbstkritische Analyse in den kommenden Tagen aber unabdingbar. Denn eines ist klar: Erstklassig waren beim HSV in dieser Saison nur die Fans.