Das gilt auch für Hamburg und den Norden. Heute geht es noch einmal um ein paar sprachliche Zweifelsfälle.

Die sprachlichen Zweifelsfälle und die feinen Unterschiede ähnlicher oder synonymer Wörter sind im Deutschen so zahlreich, dass ich damit noch einige Monate meine Kolumne füllen könnte. Nach den Zuschriften zu urteilen, langweile ich die Leserinnen und Leser mit diesem Thema überhaupt nicht, denn häufig enden die Anfragen mit einem verzweifelten „Ja, wie denn nun?“

Anja Steinhauer hat im Dudenverlag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Journalisten-Verband zur Beantwortung der Ja-wie-denn-nun-Fragen ein stattliches Taschenbuch mit 352 zweispaltigen Seiten vorgelegt, und der Duden nennt seinen 9. Band „Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle“ (1974 Seiten). Es ist also Stoff genug vorhanden.

Deutschstunde: Saiten oder Seiten? Entscheidend ist der Kontext

Da eben von den „Seiten“ die Rede war, werfen wir als Erstes einen Blick auf die „Saiten“. Beim Sprechen hören wir keinen Unterschied zwischen „Seiten“ und „Saiten“, und doch beanspruchen die Saiten mit „ai“ auf einem Instrument, die den Klang und die Musik erzeugen, eine eigene Schreibweise, um die Änderung im Gemüt der Menschen auszudrücken. Wenn wir eine „andere Seite aufschlagen“, so blättern wir im Buch eine gedruckte Seite um, wenn wir aber „andere Saiten aufziehen“, so wechseln wir in einen anderen, in einen drohenden Ton. Wir zeigen uns damit von unserer aggressiven „Seite“, und die Leute lernen uns von „einer ganz anderen Seite“ kennen. Im Inneren haben wir dabei „eine andere Saite unseres Wesens zum Erklingen gebracht“. Vielleicht suchen wir sogar „gleich gestimmte Saiten verwandter Seelen“.

Bei diesen Beispielen lässt der jeweilige Zusammenhang mit Wörtern wie „gleich gesinnt, aufziehen, erklingen“ erkennen, dass nicht „Seite“, sondern nur „Saite“ gemeint sein kann. Falls lediglich eines dieser beiden Wörter diktiert wird, kennen wir dessen Schreibweise noch nicht. Wir benötigen den Kontext (Sinnzusammenhang) des ganzen Satzes, um die korrekte Rechtschreibung auszuwählen. Mich würde interessieren, ob die Beherrschung dieses Unterschiedes auch zum Grundwortschatz nach der 4. Klasse gehört, den jeder Schüler kennen muss. Zu meiner Zeit vor 73 Jahren war das der Fall.

Das Wort „gewunken“ ist weit verbreitet, aber falsch

Die „Titanic“ ist gesunken, und der Linienrichter hat „gewunken“. Das Schiff sank im Nordatlantik, und der Assistent „wank“ Abseits. Hier stimmt etwas nicht. Die Verben „sinken“ und „winken“ klingen so ähnlich, dass die meisten Menschen versucht sind, sie auch analog zu flektieren (beugen). Das ist falsch. „sinken“ ist ein starkes Verb, das abgelautet wird: sinken, sank, gesunken. „winken“ ist ein schwaches Verb, das regelmäßig gebildet wird: winken, winkte, gewinkt.

Es heißt also: Ich habe meiner Schwiegermutter zum Abschied „zugewinkt“, und der Linienrichter hat zu früh Abseits „gewinkt“ (nicht: gewunken). Ich weiß, dass ich das verbreitete „Gewunke“ selbst dann kaum noch stoppen könnte, wenn ich mich aus Protest am Torpfosten festklebte, aber sollten Sie beim nächsten Mal „gewinkt“ benutzen, würden Sie einen anerkennenden Blick bekommen als jemand, der sein Deutsch offenbar nicht auf der Straße gelernt hat.

Deutschstunde: In Hamburg sagt man „Sonnabend“

Der Unterschied zwischen „Sonnabend“ und „Samstag“ ist geografischer Natur. „Sonnabend“ wird hauptsächlich im Norden und Osten gebraucht, „Samstag“ im Süden und Westen. In der DDR war die Bezeichnung „Sonnabend“ sogar vorgeschrieben. Wie vieles, befinden sich auch Sprache und Dialekt im Norden in der Defensive. Dabei sind Begriffe wie „Sonnabend“ mehr als bloße Vokabeln, sie sind Ausdruck tief verwurzelten Gefühls norddeutscher Heimat. Als bei mir auf dem Dorf für das Vogelschießen, ein traditionelles Kinderfest, „am Samstag“ gesammelt wurde, habe ich mein Portemonnaie wieder eingesteckt.

Im Jahre 2008 wollte eine Leserin das Abendblatt abbestellen, weil sie ein „Samstag“ im Text entdeckt hatte (ein einziges Mal in 60 Jahren). Darauf starteten wir die Rubrik „Sprechen Sie Hamburgisch?“, in der wir seitdem rund 4500 Hamburger und norddeutsche Begriffe präsentiert haben. Jede deutsche Region hat das Recht auf einen gewissen Bodensatz an heimatlichem Brauchtum und heimatlicher Sprache. Das gilt auch für den „Sonnabend“.

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