Peter Schmachthagen macht sich auf Spurensuche – und will herausfinden, wo das Verb „türken“ nun letzten Endes seinen Ursprung hat.

Wenn Redensarten zum Volksgut werden, kennt zwar jeder, der sie heute gebraucht, ihren aktuellen Sinn und ihre Aussage, aber kaum jemand ihren Ursprung und ihre Quellen, die häufig mehrere Jahrhunderte zurückliegen. Was seinerzeit bei einem bestimmten Ereignis oder an einem bestimmten Ort entstanden ist, mag bis zur Gegenwart volksetymologisch missverstanden, umgedeutet und mit einer neuen Erklärung versehen worden sein.

Versucht man, diesen Weg rückwärtszugehen, so findet sich häufig keine eindeutige Antwort, weil sich die Pfade verzweigen und mehrere Quellen angeführt werden können – und jede Quelle hat ihre eigene Legende, die zum Teil heftig gegen eine andere Legende verteidigt wird.

Manche Ausdrücke sollte man mit Vorsicht gebrauchen

Das führt nicht nur zum etymologischen (sprachhistorischen) Streit der Wissenschaftler und lokaler Amateure, sondern trifft auch mich als Kolumnisten, wenn ich versuche, eine möglichst richtige Legende aufzuzeigen. Vor einer Woche ging es hier um das Verb „türken“ in der Bedeutung „betrügen, vortäuschen, fälschen“. Ich habe klar angemerkt, dass diese Interpretation nichts mit dem Charakter und Handeln des türkischen Volkes oder der türkischen Mitbürger in Deutschland zu tun hat, sodass dieser Ausdruck besser vermieden werden sollte.

Schon der Rechtschreibduden warnt: „umgangssprachlich, oft als diskriminierend empfunden“, und das Universalwörterbuch führt aus: „Auch wenn die Herkunft des Verbs ‚türken‘ unklar ist, verbindet es sich doch im Bewusstsein der meisten Menschen mit der entsprechenden Nationenbezeichnung […] und sollte deshalb im öffentlichen Sprachgebrauch unbedingt vermieden werden.“

Woher kommt das Verb „türken“?

Ich sah voraus, dass der Versuch, dem unklaren Ursprung des Ausdrucks auf den Grund zu gehen, von der Leserschaft eifrig begleitet werden würde. Eine Reihe sich widersprechender Deutungen und „neue Erkenntnisse“ wurden mir unterbreitet, sodass ich mir vorkam wie bei der Suche nach Jack the Ripper, den man zwar auch nie finden wird, über den aber alle naselang eine angeblich „finale“ Studie eine Zeit lang die Medien steuert.

Den Ursprung des Verbs „türken“ müssen wir wohl, wie vor einer Woche geschehen, im Anfang des 19. Jahrhunderts bei einem auf Kirmessen und Volksfesten präsentierten Apparat suchen, der ein Schachbrett und mit Hebeln bewegte Schachfiguren enthielt, die von einer lebensgroßen, in türkischer Tracht gekleideten Puppe (mit Wasserpfeife im Mund) gestellt wurden. Heute kann selbst ein Schachweltmeister einen Computer nicht regelmäßig schlagen, aber damals fragten die Besucher und Passanten sich, auf welche Weise der „Roboter“ oder „Schachtürke“ wohl funktioniere.

Ist der Schachtürke der Ursprung?

Lutz Röhrich erklärt in seinem „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ (S. 1652): „Durch ein System von Spiegeln wurde die Illusion erweckt, dieser Tisch sei von allen Seiten durchsichtig. In Wahrheit saß ein buckliger Zwerg darin, der ein Meister im Schachspiel war und die Hand der Puppe an Schnüren lenkte.“ Für uns ist wesentlich, dass sich das Türken auf eine Jahrmarktsattraktion bezog, aber nicht auf die Gastarbeiter und Migranten der Gegenwart.

Es hat schon immer Leute und Städte gegeben, denen herabsetzende Redens­arten und Zitate anhafteten. Die Stadt Pappenheim im Altmühltal würde in 70 Kilometer Entfernung niemand mehr kennen, hätte Friedrich Schiller seinen beim Kaiser in Ungnade geratenen Feldherrn Albrecht von Wallenstein nicht zum Grafen von Pappenheim, dessen Landsknechte noch nicht abgefallen waren, sagen lassen: „Ich kenne meine Pappenheimer“ – ich weiß, mit welchen Leuten ich es zu tun habe. Dieses Zitat ist heute als Redensart Allgemeingut – auch dessen unsicherer Ausgang. Wallenstein wurde 1634 in Eger ermordet.

Weniger bekannt ist die Erzählung, die zu den Pappenheimern als Kloakenreiniger führt. Im Mittelalter fand einmal eine Sitzung des Reichstags in Nürnberg statt, bei der der Boden des Saals einbrach, worauf alle Teilnehmer in der Kloake landeten. Die Knechte, die allesamt aus Pappenheim stammten, mussten die Fäkalien beseitigen – ein Geruch, der ihre Nachkommen bis heute begleitet.

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