Auch unsere Sprache lebt von Legenden und den Spuren in ihrem Stammbaum. Auf den Ursprung eines Wortes erheben unzählige Städte Anspruch.

Jeder kennt die Zauberformel „Hokus­pokus“, aber niemand weiß so recht, wo sie herkommt. Die Etymologie ist die Wissenschaft vom Ursprung der Wörter, bei der ein Wort streng über alle Lautverschiebungen und Sinnänderungen hinweg möglichst 5000 Jahre zurückverfolgt wird, bis wir in der Steppe beim Schwarzen Meer am Geburtsort der indogermanischen Sprachfamilie landen.

Doch Aus­rufe, Formeln, Beschwörungen und Verballhornungen wie „Hokuspokus“ entziehen sich der Etymologie. Sie flattern durch die Zeiten, tauchen in verschiedenen Ländern­ auf und gehen schließlich in den Alltag über. Um sie in der Vergangenheit festzumachen, müssen wir nach Sprachspuren suchen.

Es könnte sein, dass die Scholaren im Mittelalter unter sich zum Spaß ein verstümmeltes Latein benutzt haben, um sich von dem angeblich ungebildeten Volk abzusetzen. Scholaren waren fahrende Schüler zu einer Zeit, als es noch keine Schulzentren, Tablets und Kultusminister gab.

„Hokuspokus“ könnte aus dem Küchenlatein kommen

Das Latein jener Zeit existierte nicht mehr als klassisches Latein wie bei Caesar und Cicero, sondern war zum sogenannten Küchenlatein verkommen. Zum Beispiel sprach man Caesar wie „Zäsar“ aus, was erklärt, wie aus dessen Titel ein russischer Zar mit „Z“ geworden ist.

„Hokuspokus“ könnte aus dem verstümmelten lautlichen Scherz „Hax, pax. max, Deus adimax“ der Scholaren entstanden sein. Auch die Weiheformel „Hoc est enim corpus meum“ mag eine Rolle gespielt haben. Selbst der Nürnberger Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs (1494–1576), der es nach heutigem Maßstab zu einer Art Bestsellerautor gebracht hatte und in Tausenden Spottversen die Hochachtung vor dem Scheinlateinischen anprangerte, muss genannt werden.

Die erste schriftliche Fixierung stammt aus dem Jahr 1532. Schließlich wurde die Formel „Hokuspokus“ auf die gesamte – ein bisschen anrüchige – Kunst der Taschenspieler, Zauberer, Gaukler und mittelalterlichen Marktschreier übertragen und breitete sich in ganz Europa aus. In England titulierte man einen Taschenspieler als „hocospocos“.

Umgangssprache hat das „Hokuspokus“ in die Realität geholt

Wenn heute Viertklässler bei einer Schuldarbietung Plastikblumen aus einem Zylinder ziehen, geht es ohne ein „Hokuspokus“ nicht. Da die Formel ein wenig zu kurz ist, lässt sie sich zum „Hokuspokus Fidibus, dreimal schwarzer Kater“ erweitern. Nach altem Volksglauben gehörte die Drei zu den magischen Zahlen, und eine schwarze Katze galt als Begleiter des Teufels.

Geisterglaube ist heutzutage noch verbreiteter, als man vermuten mag, doch die Umgangssprache hat das „Hokuspokus“ inzwischen in die Realität geholt. Etwa „Diesen Hokuspokus habe ich durchschaut“ heißt, einen „faulen Zauber“ zu entlarven; oder abwertend „dieser ganze Hokuspokus“ für unnützen Zierrat und ein überflüssiges Drum und Dran. Wenn unser Nachwuchs „allerlei Hokuspokus treibt“, ist kindlicher Unfug gemeint.

Woher kommt der Ausdruck „Fisimatenten“?

Den jungen Leuten ist der Ausdruck verloren gegangen, aber ältere benutzen noch häufig das Wort „Fisimatenten“ in der Bedeutung für Unsinn, Blödsinn, Sperenzchen, für eine Tat, die böse Folgen haben könnte. Während der Besetzung zu Zeiten Napoleons sind zahlreiche verballhornte französische Ausdrücke in die deutsche Umgangssprache übergegangen, viele auch ins Hamburgische.

Wie es bei Besatzungssoldaten und vor allem deren Offizieren üblich war, warfen sie schon einmal ein Auge auf die einheimischen Mädchen mit der eindeutig-zweideutigen Aufforderung „Visitez ma tente“ („Besuchen Sie mein Zelt“). Die Mutter, um den Ruf der Tochter besorgt und des Französischen nicht mächtig, rief entsetzt: „Mach bloß keine Fisimatenten!“

Eine andere Quelle führt die Ausrede „Je visite ma tante“ („Ich besuche meine Tante“) des französischen Soldaten gegenüber dem Wachtposten am Tor an. Strenge Sprachforscher verweisen auf das lateinische „Visae patentes“ (ordnungsmäßig verdientes Patent) und auf das mittelhochdeutsche „visamente“ (Zierrat).

Nicht nur Hamburg, ebenfalls unzählige andere Städte in Deutschland erheben den Anspruch auf den Ursprung des Ausdrucks „Fisimatenten“. Er mag eine Legende sein, aber auch unsere Sprache lebt von den Legenden in ihrem Stammbaum.

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