Dieser Ort war das Geheimnis der früheren Weiblichkeit, führte bei „Effi Briest“ aber zur Katastrophe, schreibt Peter Schmachthagen.

Es gibt Ausdrücke oder Fügungen, die sind nach heutigem Verständnis nicht geschlechtsneutral, sondern diskriminieren die Frauen (ab und zu auch die Männer), die Ausländer oder eine benachteiligte Minderheit. Selbst im konservativen Sprachgebrauch ist manches, was im Zuge der Wokeness („in hohem Maße politisch wach und engagiert“) kritisiert wird, durchaus berechtigt. Wenn Sie Ihre Nachbarin, mit der Sie im Streit liegen, öffentlich als „Frauenzimmer“ bezeichnen, so ist das eine Beleidigung.

Das war nicht immer so. In den mittelalterlichen Burgen und Schlössern waren die „vrouwenzimmer“ die Gemächer der adligen Herrin und ihres Gefolges – wie überhaupt die „vrouwe“ im Gegensatz zum Weib die hochherrschaftliche Bezeichnung war für die Frau, die die Minnesänger anbeteten und für deren Ehre die Ritter in den Turnieren Kopf und Kragen riskierten.

Deutschstunde: „Frauenzimmer“ wurde zur abfälligen Bezeichnung für eine einzelne Person

Erst im 19. Jahrhundert wurde die An­rede „Frau“ in allen sozialen Schichten üblich, wobei die Bezeichnung ihre gesellschaftliche Exklusivität verlor. Die Frauenzimmer des Mittelalters waren von der Bezeichnung der Räume auf die Personen übergegangen, die darin wohnten. Im Laufe der Jahrhunderte meinte man mit dem „Frauenzimmer“ schließlich nur eine einzelne Person, über die eher abfällig gedacht und geredet wurde.

Sprachwissenschaftlich trat eine Bedeutungsverschiebung des Ausdrucks ein. Wir haben es mit einer Metonymie zu tun, was im Griechischen „Namensvertauschung“ bedeutet. Die Metonymie dient nicht nur der Bedeutungsverschiebung, sondern auch der Vermeidung von Wiederholungen in Rede und Text. Ein Satz im Roman wie „Er stieß ihm den Stahl ins Herz“ bedeutet, dass „Dolch“ hier mit „Stahl“ getauscht worden ist. Allerdings sollte ein solcher Tausch in den Kontext passen, sonst wirkt er übertrieben.

Im „Herrenzimmer“ hätten Frauen bei den Zoten gestört

In den großbürgerlichen Wohnungen und Villen der Kaiserzeit gab es ein „Herrenzimmer“, in das sich der männliche Teil einer Abendgesellschaft nach dem Souper mit Cognac und dicken Zigarren zurückzog. Es war englisch möbliert, und an den Wänden hingen die Jagdtrophäen des Hausherrn. Frauen hatten keinen Zutritt. Sie hätten bei den Zoten und „Herrenwitzen“ gestört.

Die Damen setzten sich in einem anderen Raum in die Ecke und „plauderten aus dem Nähkästchen“. Das Nähkästchen war die Schutzzone bürgerlicher Weiblichkeit, in dem nicht nur Handarbeitsutensilien, sondern auch persönliche Erinnerungen und Geheimnisse der Frau verborgen waren. Zu diesem Ort war der Zugang für männliche Neugier auf das Strengste verboten.

In „Effi Briest“ machte Theodor Fontane das Nähkästchen literaturfähig

Theodor Fontane machte das Nähkästchen in seinem Roman „Effi Briest“ (1896) literaturfähig. Effi war mit 17 Jahren einem doppelt so alten Landrat zur Frau gegeben worden, der nur seine Karriere im Auge hatte. Effi fühlte sich einsam und ließ sich auf eine Affäre mit einem Offizier ein. Die Briefe dieses Fehltritts verwahrte sie jahrelang in ihrem Nähkästchen, wo sie ihr Mann zufällig fand, was die bürgerliche Fassade dieser Ehe zum Einsturz brachte sowie zur Scheidung und zum Duell führte.

Anfang des 19. Jahrhunderts zog ein Schausteller über die Volksfeste mit einem Apparat, auf dem Schachfiguren an Hebeln befestigt waren. Gegen einen Einsatz konnte jeder gegen den Apparat zu einer Partie antreten. Der Schachapparat gewann immer, was sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Es stellte sich allerdings heraus, dass im nicht einsehbaren Unterbau ein klein gewachsener Türke verborgen war, der jeden Besucher schlagen konnte. Deshalb kam das Wort „türken“ für „betrügen“ in den Sprachgebrauch, das heute zu unliebsamen Missverständnissen führen muss.

Deutschstunde: Woher der Ausdruck „Kümmeltürke“ stammt

Der Ausdruck „Kümmeltürke“ bezog sich ursprünglich gar nicht auf das Land am Bosporus, sondern auf das Kümmel­anbaugebiet um Halle (Saale). Die Studenten an der Universität aus dem Umland galten als streberhaft fleißig, rochen aber stets nach Kümmel, weil sie von ihren Familien mit Lebensmitteln versorgt wurden, was die Kommilitonen in den schlagenden Verbindungen zum Spott veranlasste.

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