Hamburg. … und sein Frauchen sprang im Dreieck. Heute erklärt Peter Schmachthagen, woher so manche merkwürdige Redewendung stammt.

„Ich könnt’ im Dreieck springen!“, schimpfte meine Nachbarin laut und böse im Vorgarten neben uns, weil mein Hund (Amon) ihren Kater (Felix) durch die Ligusterhecke vom Grundstück gejagt hatte. Felix war danach in Panik auf den Gartentisch gesprungen, hatte ein Glas mit Kirschsaft umgeworfen, dessen blutroter Inhalt nicht nur das Kleid der Nachbarin, sondern auch ihre Lektüre unbrauchbar machte. Der Artikel über Prinz Harry aus dem bunten Frauenblatt (Yellow Press) ließ sich nicht mehr entziffern, weil er nicht nur im Innern, sondern jetzt auch von außen recht klebrig geworden war.

Was Wunder, dass die Bewohnerin von nebenan vor Wut außer sich geriet und zum schweren Kaliber einer Redensart griff, deren Herkunft sie wahrscheinlich nicht erklären konnte. Ich hielt es für besser, Amon einzufangen und still durch die Terrassentür ins Wohnzimmer zu verschwinden, statt ungefragt Deutungen über Geschichte und die Herkunft dieser Wendung abzugeben.

Der „Dreieckssprung“ kommt aus dem Berliner Vollzug

Wer im Dreieck springt, tanzt keinen Walzer auf dem Rasen und löst keine mathematische Winkelfunktion, sondern benutzt einen Ausdruck aus dem Berliner Strafvollzug des 19. Jahrhunderts, der sich im Laufe der Jahre deutschlandweit selbstständig gemacht hat.

Peter Schmachthagen  schreibt hier an jedem Dienstag über  die Tücken der deutschen Sprache.
Peter Schmachthagen schreibt hier an jedem Dienstag über die Tücken der deutschen Sprache. © HA | Klaus Bodig

Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861) sorgte sich, dass Strafgefangene in den früher üblichen Gemeinschaftsunterkünften dem schlechten Einfluss der Mitgefangenen ausgesetzt waren, was ihrer Läuterung nicht guttat. Deshalb ließ er im Berliner Stadtteil Moabit das „Zellengefängnis Lehrter Straße“ errichten, in dem die Gefangenen in Einzelzellen untergebracht und von ihren Mitgefangenen isoliert waren.

Sprichwort verweist auf Freigang der Häftlinge

Die Isolation galt nach damaliger Auffassung auch beim Freigang. Man baute mehrere kreisförmige Areale, die sogenannten „Spazierhöfe“, die jeweils tortenartig in 20 Drei-ecke unterteilt und durch hohe Mauern voneinander getrennt waren. Ganze zehn Quadratmeter blieben jedem einsamen Gefangenen in seinem Dreieck, dem zudem Rede- und Kontaktverbot auferlegt worden waren. Wer aber über Jahre oder Jahrzehnte in Einzelhaft sitzt, der wird entweder wahnsinnig oder rastet irgendwann aus. Dann tobt, randaliert und springt er in seinem Dreieck.

An das einstige „Mustergefängnis“ Moabit erinnert heute nur noch wenig, doch sprachlich springen wir immer noch im Dreieck, wenn wir so ärgerlich und zornig sind, dass wir unsere Wut kaum noch zügeln können. Die Redensart hat sprachlich ihren Ursprung überlebt.

Ausdruck ist dem Rotwelschen entlehnt

Die Gefangenen und Festgenommenen wurden seinerzeit nicht nur in Berlin in der „grünen Minna“ transportiert. Dabei handelte es sich um einen Polizeiwagen, der von einem oder zwei Pferden gezogen wurde und eine gewisse Ähnlichkeit mit den heutigen Bauwagen hatte. Das Attribut „grün“ bezog sich nicht nur auf die Farbe des Gefährts, sondern wird vermutlich auch in der rotwelschen Bedeutung „unangenehm, nicht geheuer“ gebraucht. Die 1881 bezogene Vollzugsanstalt in der Antonstraße wurde im Volksmund „grüner Anton“ genannt. Wenn wir jemandem nicht wohlgesinnt sind, umschreiben wir das häufig mit der Wendung, ihm „nicht grün“ zu sein.

Bei der Wahl des im 19. Jahrhundert besonders populären Vornamens „Minna“ mag der Bezug zum Dienstboten- und Hauspersonal eine Rolle gespielt haben. Eine Minna war in der Stadt die Köchin und auf dem Land die Magd. Dienstmädchen und Mägde wurden damals grob
behandelt und oft zurechtgewiesen – sie wurden „zur Minna gemacht“.

Viele Ausdrücke kommen aus dem „Bettlerlatein“

Das Rotwelsche, die Geheimsprache der nicht sesshaften Unterschicht im späten Mittelalter, hieß im Volksmund „Bettlerlatein“ und fachlich „Gaunersprache“. Viele Ausdrücke aus dem Umfeld von
Tätern und Gefangenen drangen – häufig volksetymologisch missverstanden und lautlich umgedeutet – ins Hochdeutsche vor. Dazu gehört der Begriff „Knast“, der vom jiddischen (nicht: jüdischen!) „knas“ und dem hebräischen „genas“ (Geldstrafe) stammt. Wer „Knast schob“, saß im Gefängnis.

Auch wer „verschüttging“, verschwand (meistens) im Gefängnis (Gaunersprache „Verschütt“ = Haft).

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