Hamburg/Kiel. Thomas Losse-Müller (SPD) ist Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein.
Löhne und Gehälter sollten jetzt kräftig steigen, aus einem einfachen Grund: Es ist der Beleg dafür, dass unsere Marktwirtschaft funktioniert. Ich bin in den 70er-Jahren groß geworden und kann mich noch gut daran erinnern, dass ich als Konfirmand manche Fürbitte und Gebet für die Arbeitslosen und den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes gehört habe. Massenarbeitslosigkeit war eine konkrete Gefahr bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.
Heute ist Arbeitskraft ein knappes Gut. Vor allem, weil ältere Menschen in den Ruhestand gehen und zu wenig Jüngere nachkommen. Unser Alltag bestätigt das. Bei der Bahn, im Restaurant, den Schulen, Finanzämtern oder im Krankenhaus – überall fehlt Personal. Sebastian Dettmers, der die Job-Plattform StepStone leitet, beschreibt das als die Verschiebung von der Arbeitslosigkeit zur Arbeiterlosigkeit.
Fachkräftemangel: Wir müssen jetzt handeln!
Deshalb müssen wir das Arbeitsangebot vergrößern: Arbeitslose qualifizieren, Teilzeitquote von Frauen senken, weniger Jugendliche ohne Abschluss aus der Schule entlassen und mehr Zuwanderung organisieren. Aber all diese Maßnahmen werden nicht ausreichen. Wir müssen entscheiden, wo die knappen Arbeitskräfte am besten eingesetzt werden.
Es ist eine volkswirtschaftliche Binsenweisheit, dass die Verteilung knapper Güter über den Preis geregelt wird. Damit Menschen verstärkt dort arbeiten, wo die Wertschöpfung oder der gesellschaftliche Wert besonders groß sind, ist der Preis der Arbeit entscheidend. Mit anderen Worten: Menschen werden vor allem in den Bereichen arbeiten, die höhere Löhne und Gehälter bieten. Das ist Teil der Marktwirtschaft, in der wir leben. Höhere Löhne sind ein wichtiges Signal, dass wir sorgsam mit immer knapper werdender Arbeitskraft umgehen müssen. Vom Respekt für die Leistung ganz zu schweigen.
Lohnerhöhungen mit Blick auf die Inflation
Gleichzeitig werden dadurch Investitionen in die längst überfällige Automatisierung noch drängender, aber eben auch lohnender, weil Arbeitskraft teurer wird. Geschäftsmodelle, die allein auf der Verfügbarkeit von günstiger Arbeitskraft aufbauen, sind heute kaum noch zukunftsfähig.
Jetzt gibt es viele Mahner, die die Gewerkschaften zur Lohnzurückhaltung auffordern. Und in der Tat klingt es nach viel, wenn die IG Metall acht Prozent oder Ver.di für den öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr fordert. In Zeiten niedriger Inflation haben wir uns auch an niedrige Lohnabschlüsse gewöhnt. Die lagen oft im Bereich von 1,5 bis drei Prozent. Das hat als Inflationsausgleich gereicht. Denn von 2000 bis zum Jahr 2020 sind die Preise in Deutschland im Durchschnitt um 1,5 Prozent pro Jahr gestiegen.
Arbeitnehmer mit gleichbleibendem Lohn haben enorm Kaufkraft eingebußt
Das hat sich geändert. Im Jahr 2021 ist die Inflation bereits auf 3,14 Prozent geklettert. Und im vergangenen Jahr ging es um historisch einmalige 7,9 Prozent nach oben. Wenn die Löhne nicht gleichermaßen steigen, werden die Menschen ärmer. In Zahlen ausgedrückt: Die 3000 Euro, die ein Lkw-Fahrer im Jahr 2020 verdient hat, sind Anfang dieses Jahres nur noch 2668 Euro wert. Dieser reale Lohnverlust trifft besonders diejenigen, die sowieso jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Es ist also auch eine Frage der Gerechtigkeit, die Löhne jetzt anzuheben.
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Zudem können sich viele Arbeitgeber die höheren Löhne gut leisten. Die 100 größten Unternehmen in Deutschland konnten ihren Gewinn im vergangenen Jahr um rund 20 Prozent steigern. Für den Staat gilt dieselbe Logik. Die Einnahmen des Bundes sind 2022 um 9,1 Prozent geklettert. Von diesen Mehreinnahmen sollten auch die Beschäftigten profitieren.
Gute Bezahlung und Arbeitsbedingungen wichtig für den Erfolg
Wir brauchen jetzt also hohe Lohnsteigerungen, um das knappe Gut Arbeit korrekt zu bepreisen und den Wohlstandsverlust durch die Inflation auszugleichen. Es ist ironisch, dass diejenigen, die das kritisieren, in anderen Fragen immer mehr Markt fordern.
Die Kräfte der Marktwirtschaft wirken eben in beide Richtungen und nicht nur zugunsten von Unternehmen. Private und öffentliche Arbeitgeber müssen schnell verstehen, dass die Beschäftigten in den nächsten Jahren den Ton angeben werden. Nur wer gute Bezahlung und Arbeitsbedingungen bietet, wird in dieser neuen Arbeitswelt erfolgreich sein.