Bluttat von Brokstedt: Kam es vorher in Hamburg zu Versäumnissen und Fehlern im Umgang mit dem Täter?

Die Tat ist grauenhaft. Ein bewaffneter Mann überfällt wahllos Fahrgäste eines Zuges, teilweise von hinten meuchelt er sie nieder, voller Heimtücke und Niedertracht. Zwei junge Menschen sterben, andere liegen Tage später noch im künstlichen Koma. Dass die Staatsanwaltschaft einen terroristischen Hintergrund und eine lange Planung für kaum wahrscheinlich hält, sondern dass es sich um eine eher spontane Tat eines Mannes zu handeln scheint, der seit Jahren in Deutschland Polizei und Justiz beschäftigt, ist unerheblich.

Das spielt weder für die Opfer noch für deren Angehörige oder das
Sicherheitsempfinden der Menschen, die die Bahn nutzen, eine Rolle. Erheblich ist aber, ob diese Tat hätte vermieden werden können. Und so drängen sich Fragen auf.

Bluttat von Brokstedt: Viele Fragen sind noch offen

Warum haben sich die Behörden nicht ernsthafter mit einer Abschiebung beschäftigt? Warum hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch 14 Monate, nachdem es aus Kiel über die Straftaten und Auffälligkeiten informiert wurde, noch nicht erkennbar reagiert? Warum hat ein Amtsrichter den Mann nach wiederholter Messerattacke nur zu einer Haft von einem Jahr und ein paar Tagen verurteilt?

Warum hat die Hamburger Justiz einen Häftling mit der Freilassung in ein „Entlassungsloch“ geschickt, wie es ein renommierter Kriminologe formuliert? Um nicht missverstanden zu werden: Die Taten hat der 33-Jährige begangen. Aber es sieht aktuell nicht danach aus, dass die beteiligten Behörden im Vorwege entschieden genug gehandelt hätten.

Hamburgs Justizsenatorin äußert sich nur kurz

Und was macht die Hamburger Justizsenatorin in dieser Situation? Sie äußert „tiefstes Mitgefühl“, verspricht eine „gründliche Sachverhaltsklärung“, kündigt eine Sitzung des Justizausschusses für mehr als eine Woche nach der Tat an – das war’s erst einmal.

Zur Erinnerung: Die schleswig-holsteinische Innenministerin übernahm gleich Verantwortung und stellte sich am Tag nach der Tat den Fragen von Parlamentariern und Journalisten, auch wenn sie nicht allzu viel zu berichten hatte. Der schleswig-holsteinische Innen- und Rechtsausschuss beriet sich ebenfalls am Donnerstag das erste Mal – aber Hamburg braucht mehr als eine Woche ...

Justizbehörde macht es sich zu einfach

Auch wenn es inzwischen nur noch eine Randnotiz wert ist: Aber es ist nicht normal, dass Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt an illegale Drogen kommen. Es ist nicht normal, dass Angriffe auf Justizangestellte und andere Häftlinge erst einmal folgenlos bleiben. Und es ist auch nicht akzeptabel, wenn der Sprache nicht mächtige Häftlinge ohne festen Wohnsitz oder soziale Struktur zurückgeschickt werden in dieselben Verhältnisse, die vor der Haft zur Tat geführt hatten.

Wer wie die Justizbehörde jetzt betont, e i n Psychiater habe kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung bei Ibrahim A. festgestellt, macht es sich zu einfach und schiebt Verantwortung ab. Wie viele (Hundert) Insassen hat dieser eine Mensch zu betreuen? Warum überlässt die Behörde die alleinige Verantwortung einem Experten statt auf ein Vieraugenprinzip oder gar eine Fallkonferenz zu setzen?

Bluttat von Brokstedt: Druck auf Gallina dürfte nochmals gestiegen sein

Anna Gallina steht nahezu seit Tag 1 als Justizsenatorin unter Beobachtung – und in der Kritik. Sei es ihre fehlende fachliche Qualifikation, seien es Querelen mit ihrer anerkannten Staatsrätin, bei der Besetzung von Spitzenposten und nicht zuletzt die Ermittlungen gegen ihren Ex-Partner, gegen den ihre Staatsanwaltschaft wegen gewerbsmäßiger Untreue in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung Anklage erhoben hat. Der Druck auf die grüne Politikerin war vor der Tat von Brokstedt hoch. Nun dürfte er nochmals gestiegen sein.