Hamburg. In Hamburg finden sich immer wieder Immobilien in 1a-Hauptstraßen-Lage. Kann man machen, aber am besten Fenster und Ohren schließen.
Der Suchradius wird größer, der Stadtrand ist nah wie nie. Rahlstedt zum Beispiel, da ist richtig was los, jedenfalls was Immobilien angeht. Dort werden sogar noch Einfamilienhäuser angeboten. Zur Erklärung: Das ist, wenn der Garten einmal rund ums Haus geht und weder links noch rechts noch oben oder unten jemand anderes wohnt.
So etwas kennt man als Immobiliensuchender in Hamburg ja gar nicht mehr. Schon gar nicht wie hier, wo die 130 sanierten Quadratmeter noch im akzeptablen Verhältnis zu 750.000 Euro Kaufpreis stehen. Und dann die Lage: „Die Naturschutzgebiete Stellmoorer Tunneltal und Höltigbaum befinden sich in der näheren Umgebung, sodass deren idyllische Wald- und Wiesenflächen direkt vom Haus aus fußläufig bei Spaziergängen oder beim Joggen erschlossen werden können.“ Klingt doch herrlich! Randlage, wir kommen.
Immobilien: Blechlawinen am Küchenfenster inklusive
Und schon ist es wieder passiert: zu früh gefreut. Bei der weiteren Recherche stellt sich heraus, dass das Objekt nämlich auch noch über eine „ausgezeichnete Verkehrsanbindung“ verfügt: Es liegt ganz idyllisch an einer Hauptstraße. Das Frustrierende daran ist, dass es sich um einen Trend handelt: Überall in Hamburg bekommt man derzeit Eins-a-Hauptstraßenlagen angeboten, ob im Bestand oder bei Neubauprojekten. Ja, wer in der Stadt wohnen möchte, kommt um Straßen nicht herum.
Aber muss man deshalb mit Blechlawinen, die mit Tempo 50 am Küchenfenster vorbeidonnern, leben? Es gibt nun mal Straßen, die sind friedlich, klein, verwunschen, geschwungen, am besten verkehrsberuhigt und in einer Sackgasse endend, Wohnstraßen eben, und dann gibt es Straßenstraßen: groß, breit, lang, laut, unwirtlich, unbewohnbar. Eigentlich. Natürlich leben auch dort überall Menschen, und die vielen Autos mögen die einen mehr und die anderen weniger stören. Wenn man es sich aber aussuchen kann, würde man doch lieber auf sie verzichten. Kann man aber nicht.
Mit Lärmschutzkopfhörern die neue Terrasse genießen
Mit Aussuchen ist es auf dem Immobilienmarkt schon lange vorbei, man muss froh sein, wenn überhaupt etwas zur Wahl steht. So wie dieses Neubaureihenhaus, das viele Wunschkriterien erfüllt, allerdings auch wieder eine „ausgezeichnete Verkehrsanbindung“ bietet. Ohne Abstriche geht aber wie gesagt nichts mehr – also Ohren zu und durch? „Mit der Dreifachverglasung hören Sie eh nichts“, beruhigt der Vertriebsleiter des Bauträgers bei der Besichtigung des Rohbaus. Und durch die mechanische Lüftungsanlage müsse man die Fenster ja auch nicht mal mehr öffnen. Der Wohntraum von heute ist hermetisch abgeriegelt.
Wäre da nicht ein Problem: Es gibt einen Garten. Akustikprobe auf der rückwärtig gelegenen Terrasse. Wie viel Verkehrslärm ist hier zu hören? Keiner – der Betonmischer übertönt alles. „Autos? Nö, hört man nicht“, meint der nette Bauarbeiter. Inwieweit er mit seinen Lärmschutzkopfhörern als belastbarer Zeuge gelten kann, ist allerdings fraglich. Also erneuter Hörtest nach Feierabend.
- Meilenstein für spektakuläres Holzhochhaus in der Hafencity
- Warum viele Hausbesitzer derzeit total verunsichert sind
- Rückschlag für den Senat: Wohnungsbau bricht massiv ein
Ja, auch hinter dem Haus hört man es rauschen, und leider kein Wasser, sondern den steten Fluss an Kraftfahrzeugen. Aber da gewöhnt man sich doch dran, oder? Abstriche, Abstriche! Stell dir vor, wenn man hier erst mal sitzt, alles schön angelegt und begrünt, ausgestreckt auf dem neuen Outdoor-Loungemöbel, ein Glas Wein in der … Bämm! Da knattert ein Motorrad durch die Szenerie. Das Rauschen dröhnt wieder in den Ohren, ein 30-Tonner lässt nicht nur die dreifach verglasten Fensterfronten erzittern. Auch das Abstriche-Mantra wackelt.
Immobilienkauf: Wenn man über die Straße nicht hinweghören kann
Nach fünf weiteren Hörproben zu unterschiedlichen Tageszeiten an verschiedenen Wochentagen steht fest: Über diese Straße kann man nicht hinweghören, sie ist der Highway zur Wohnhölle. Hier kann man sich nicht niederlassen, hier kann man nur fliehen, raus aus der Stadt, ins Umland, wo die Idylle noch ungetrübt ist. Hier gibt es andere Abstriche, aber zumindest keinen Lärm. Die kleine Straße am Ende des Grundstück ist jedenfalls nur wenig befahren.
Unter der Woche. Am Wochenende kommen die Ausflügler. Und wollen alle hier lang, vorbei am eigenen Garten. Auf der Suche nach ein bisschen Ruhe.