Die Neuauflage der Regierung aus SPD und Grünen ist ausgewogener, als die Zahlen es vermuten lassen.

Wenn alles planmäßig verläuft, wird Peter Tschentscher am 10. Juni in der Bürgerschaft erneut zum Ersten Bürgermeister gewählt und kurz darauf seinen rot-grünen Senat berufen. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht – nicht nur, weil Tschentscher sich seit seinem etwas überraschenden Amtsantritt 2018 bewährt und Hamburg besonnen durch die Corona-Krise geführt hat, sondern auch, weil die Wähler einen Anspruch auf diese Regierungsbildung haben. Dreieinhalb Monate nach der Bürgerschaftswahl wurde es Zeit, dass die neuen Machtverhältnisse auch auf der Regierungsbank Niederschlag finden, Corona hin oder her.

Wer nun auf das Ergebnis der Koa­litionsverhandlungen schaut, könnte im ersten Moment der Fehlannahme unterliegen, dass die SPD die Grünen mächtig über den Tisch gezogen hat. Acht roten Senatsmitgliedern stehen nur vier grüne gegenüber – das entspricht nicht der Stimmenverteilung von 39 zu 24 Prozent.

Auf den ersten Blick haben die Grünen nicht viel gewonnen

Auch dass die Ökopartei trotz Verdopplung ihres Stimmenanteils nur vier statt bislang drei Sitze auf der Regierungsbank hat, unterliegt nicht den Gesetzen mathematischer Logik. Hinzu kommt: Einen echten „Big Point“ haben die auf Veränderung drängenden Grünen auch nicht durchsetzen können.

Andreas Dey ist Redakteur im Ressort Landespolitik.
Andreas Dey ist Redakteur im Ressort Landespolitik. © HA | Thorsten Ahlf

Doch auf den zweiten Blick sieht die Sache etwa anders aus. Denn die Grünen haben aus ihrer Geschichte gelernt, dass man mit Maximalforderungen, selbst wenn man sie in Koalitionsverhandlungen durchsetzen kann, nicht zwingend glücklich wird. 2008 haben sie der CDU sensationell die Stadtbahn und die sechsjährige Primarschule abgetrotzt. Bekommen haben sie: nichts davon, auch weil sie den großen Partner überfordert haben. Eine Erfolgsgeschichte wurde dagegen eine relativ kleine Entscheidung: die Einführung des StadtRads.

Ein grüner Verkehrssenator, der seine Position zu nutzen weiß

Zwölf Jahre später haben die Grünen klugerweise auf Symbolpolitik verzichtet und stattdessen an vielen Stellen mehr Grün in den Vertrag mit der SPD verhandelt: mehr Radwege, mehr Klimaschutz, mehr Ausgaben für Wissenschaft und Forschung, um nur einige Beispiele zu nennen. Und vor allem, das ist der echte „Big Point“, bekommen sie mit der neuen Behörde für Verkehr und Mobilitätswende nun das Mittel, um ihre Politik auch umzusetzen. Dem künftigen Senator Anjes Tjarks ist zuzutrauen, dass er diese für ihn maßgeschneiderte Position zu nutzen weiß – zumal der auch in SPD-Kreisen hoch angesehene langjährige Fraktionschef kein Dogmatiker ist und wissen wird, dass er nun alle Verkehrsteilnehmer zu vertreten hat.

Alles zum neuen rot-grünen Senat:

Schwieriger sind die Startbedingungen für die neue Justizsenatorin Anna Gallina. Dass sie als Nicht-Juristin den fachlich hochqualifizierten Amtsinhaber Till Steffen verdrängt, überzeugt, bei allem Verständnis für eine aufstrebende Parteivorsitzende und die Frauenquote, inhaltlich zunächst nicht. Allerdings ist Gallina auch nicht die erste fachfremde Justizministerin in Deutschland und sollte eine faire Chance bekommen, sich zu bewähren.

Kein Signal des Aufbruchs aus der SPD – oder kein Grund zur Veränderung

Die SPD kann mit diesem Koalitionsvertrag ebenfalls gut leben. An wichtigen Projekten wie A 26, Köhlbrandquerung und Elbvertiefung wird nicht gerüttelt, sie hat kein wichtiges Ressort verloren und von der aufgespaltenen Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz das auch über Corona-Zeiten hinaus wichtige Thema Gesundheit in ihren Zuständigkeitsbereich gerettet.

Dass alle SPD-Senatoren im Amt bleiben, sendet zwar nicht gerade ein Signal des Aufbruchs. Aber man kann das auch positiv deuten: Es gab für Bürgermeister Tschentscher halt keinen Grund, personell etwas zu verändern.