Hamburg.

Mit Geschichtsschreibung ist das so eine Sache: Wer oberflächlich auf das Deutschland vor 100 Jahren blickt, wird über die Goldenen Zwanziger schwärmen, als Berlin Nabel der Welt war, Wissenschaft, Kunst und Kultur hierzulande eine Blütezeit erlebten.

Wer etwas tiefer gründelt, sieht ein zerrissenes Land, das von der Hyperinflation bald in die Weltwirtschaftskrise und Bankenkrise taumelte, das zerrieben wurde von Faschisten und Kommunisten, deren Aufstände und Putschversuche die junge Demokratie erschütterten.

Goldene Zwanziger – Grundlage für Nationalsozialismus

In den Goldenen Zwanzigern wurde die Grundlage gelegt für den Aufstieg des menschenverschlingenden Nationalsozialismus – übrigens auch, weil viele Konservative die NSDAP für das kleinere Übel hielten. Am Ende wurde die Weimarer Republik nicht allein von den Extremisten von rechts und links zerstört – die Demokratie scheiterte auch am Mangel an Demokraten.

Vielleicht sollten wir uns daran erinnern, wenn wir die Nachrichten der ersten Nacht des neuen Jahrzehnts nicht nur lesen, sondern auch verstehen wollen: Im linksalternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz wurde ein Polizeibeamter so schwer verletzt, dass er dringend operiert werden musste.

Dem Mann soll, bevor er angegriffen wurde, der Helm vom Kopf gerissen worden sein. Die Täter werden im linksextremen Umfeld vermutet. Leipzig gilt längst als Hotspot linksextremistischer Gewalt: Im Herbst griffen Vermummte die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung an und schlugen der 34-Jährigen mehrfach mit der Faust ins Gesicht.

Andersdenkende werden mit Terror überzogen

In Hamburg blieb es Silvester eher ruhig, es gab „nur“ Farbattacken auf die SPD-Zentrale und einen Brandanschlag auf die Arbeitsagentur. In Berlin hingegen kam es zu einem Angriff auf die Pressefreiheit: Zum zweiten Mal haben Autonome das Auto des „B.Z.“-Journalisten Gunnar Schupelius abgefackelt. Man muss weder seine Zeitung noch seine Kolumnen mögen, aber wo kommen wir hin, wenn wir Andersdenkende mit Terror überziehen?

Alle diese Taten sind ein Warnzeichen. Fast noch schlimmer aber ist das Echo auf diese Gewalttaten – in den Medien liefen die Angriffe unter ferner liefen, irgendwo am Ende der Nachrichten, auf bunten Seiten oder gar nicht. Und es gab haarsträubende Einlassungen. Die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel etwa twitterte zum Polizeieinsatz: „Uff. Cops raus aus #Connewitz gewinnt nach diesem Jahreswechsel ‘ne neue Bedeutung. Ekelhafte Polizeigewalt, überrennen Unbeteiligter, wirre Einsatzmanöver, kalkulierte Provokation.“

Linke als Grenzgänger zum Extremismus

Puh. Nun ahnt man, warum die Linkspartei eine gefragte Gesprächspartnerin ist, wann immer es um die fließenden Grenzen der AfD zum Extremismus geht. Als Grenzgänger kennen sich einige Linke offenbar gut aus. So war es auch beim G-20-Gipfel 2017, als die Partei direkt nach der Nacht der Zerstörung im Schanzenviertel unbeeindruckt mit dem Schwarzen Block durch Hamburg marschierte. Geschadet hat es ihr nicht: In der Öffentlichkeit gilt Ex-Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) längst als Bösewicht, Die Linke hat seither in Umfragen zugelegt.

Es gibt eine seltsame Relativierung der Gewalt in Deutschland. Man stelle sich vor, Rechts­extremisten hätten einen Polizisten schwer verletzt oder ein Presseauto angezündet. Der betroffene Kollege wäre mit Journalistenpreisen bedacht worden. Nach der Brutaloattacke auf einen Polizisten wären Sondersendungen und Sonderseiten das Mindeste gewesen, der Bundespräsident wäre auf Sendung gegangen.

Wo Gewalt beginnt, endet jede Debatte

Übrigens zu Recht: Die Demokratie muss extreme Meinungen immer aushalten, aber es gibt eine klare Grenze: Wo Gewalt beginnt, endet jede Debatte. Auch wenn linke Ideologien sympathischer klingen als rechte, ist linke Gewalt nicht harmloser. Wer hier zu relativieren beginnt, hat offenbar seine moralischen Maßstäbe oder gar den Verstand verloren.

Für den verprügelten Polizisten, den Journalisten oder die Maklerin macht es jedenfalls keinen Unterschied, dass die Gewalt durch den Kampf gegen ein vermeintlich „böses System“ legitimiert wird. Es muss einen Konsens in diesem Land geben, dass Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.

Kritik an Polizeieinsätzen ist legitim, Gewalt gegen Polizisten ein Weckruf. Erinnern wir noch einmal an die Zwanziger: Die Weimarer Republik scheiterte nicht allein an den Extremisten von rechts und links – die Demokratie ist am Mangel an Demokraten zusammengebrochen.