Ausgerechnet Dieter Nuhr erklärt der Republik im Jahresrückblick, wohin der Klimanotstand führen kann.

Wir leben in seltsamen Zeiten: Im traditionellen Jahresrückblick (Wiederholung: 3sat, 30.12., 21.45 Uhr) des Kabarettisten Dieter Nuhr ging es ungewohnt ernst zu. Er warnte vor digitaler Pogromstimmung, dem Rechtsruck und wachsender Klimahysterie: „Wenn wir das tun, was unsere Klimaaktivisten fordern, nämlich nicht weniger als die Abschaffung des globalisierten Welthandels, dann wird die Weltwirtschaft in eine Krise fallen, die Milliarden Menschen zurückwirft in die Armut. Und das werden die sich nicht gefallen lassen“, sagte er.

Wann war Kabarett zuletzt eine so ernste Angelegenheit? Solche Sätze erwartet man eher im Bundestag, oder?

Leider sind manche Politiker ins kabarettistische Fach gewechselt. Die stolze SPD hat sich in der Urwahl ein Führungsduo verordnet, das vor wenigen Jahren vermutlich noch bei der Wahl des Ortsvorstands in Tonndorf-Hohenhorst krachend durchgefallen wäre.

Angela Merkel klebt an ihrem Sessel

Und im Kanzleramt klebt eine Politikerin an ihrem Sessel, die einst den klugen Satz geprägt hatte: „Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden.“ Heute diskutieren manche, wann genau sie diesen Zeitpunkt verpasst hat. 2013? Oder 2015?

Dabei wäre politische Führung derzeit bitter nötig: Die Gemengelage ist kompliziert wie selten. Die Menschheit steht vor der Herausforderung, den Klimawandel zu minimieren und zugleich mit seinen Folgen fertig zu werden; Massenmigration, Globalisierung und Digitalisierung verändern die Gesellschaften in atemberaubender Geschwindigkeit und schüren den Populismus.

In Deutschland kommt erschwerend hinzu, dass sich der zehn Jahre währende Aufschwung dem Ende entgegenneigt – und unser Wirtschaftsmodell, das auf Export und die Autoindustrie setzt, schwächelt.

Bischöfe vergleichen Greta Thunberg mit Jesus

In diesen komplexen Zeiten sind Antworten kompliziert – und deshalb werden Vereinfacher so gern erhört. Besonders deutlich wird das in der Klimadebatte. Sie hat inzwischen den Boden einer rationalen Auseinandersetzung verloren. Der Notstand, einst die Überschrift finsterer Zeiten, gilt plötzlich als Politikziel. Ja, das Klima ist zur Ersatzreligion erhoben worden. Gleich mehrere zeitgeistverliebte Bischöfe vergleichen Greta Thunberg mit Jesus.

Und manche Klimaschützer sind mit religiösem Eifer oder gar fundamentalistischem Furor unterwegs, ihre Umwelt zu bekehren, mindestens zehn neue Gebote zu erlassen und bei Nichtbefolgung mit der Hölle zu drohen.

Fritz Vahrenholt als Stiftungsvorstand entlassen

Es passt ins Bild, dass Kritiker gleich als „Klimaleugner“ gelten. Kurz vor Weihnachten hat die eher konservative Wildtier Stiftung ihren Vorstand Fritz Vahrenholt entlassen, weil seine Thesen wider den „Klimanotstand“ nicht mehr zum Zeitgeist passten. Dabei hatte der frühere Hamburger Umweltsenator bei seiner Berufung 2012 schon dieselben Thesen vertreten – aber was damals noch sagbar war, gilt heute als unsäglich.

Ein Ende der Debatte als Erlösung – auch hier wird es religiös. Sogar in den Medien, die ja von Diskussionen leben, sind sich zu viele zu einig. Dort sind apokalyptische Reiter unterwegs, die in immer schrilleren Tönen und immer dunkleren Farben den Weltuntergang herbeifabulieren.

Axel Bojanowski, langjähriger Wissenschaftsjournalist bei „Spiegel Online“ und heute Chef von „Bild der Wissenschaft“, kritisierte auf „Übermedien“ die „Homogenisierung der Berichterstattung zum Klimawandel“ – allein die Komplexität des Klimawandels darzustellen könne Journalisten in die Ecke der „Klimaleugner“ manövrieren, jene oft politisch motivierte Gruppe, die Risiken herunterspielt.

Das wagen sonst nur Kabarettisten

Dabei ist es Aufgabe der Journalisten, alle Thesen kritisch zu hinterfragen. Welche fatalen Folgen der Lemminge-Journalismus hat, sollte die Flüchtlingskrise 2015 gezeigt haben.

Nur wenn wir differenziert diskutieren und Kosten wie Risiken nicht ausblenden, lassen sich die Menschen am Ende überzeugen. Der Klimawandel ist zu ernst, um ihn den Vereinfachern und Moralisierern zu überlassen. Kürzlich wagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), sich dem Mainstream entgegenzustellen: Er weist darauf hin, dass Hamburg seine Klimabilanz mit der Schließung der Kupferhütte Aurubis sofort aufhübschen könnte – zum Schaden der Wirtschaft und des Weltklimas.

Denn so CO2-arm wie auf der Veddel wird sonst nirgends Kupfer hergestellt. Für solche komplexen Zusammenhänge aber benötigt ein Politiker heute schon Mut. Das wagen sonst nur noch Kabarettisten.