Hamburg. Umarmung, Küsschen, Händedruck: Begrüßungen oder Abschiede können schnell zu peinlichen Eiertänzen werden

Auf einer Geburtstagsparty betritt eine junge Frau den Raum. Wir sind uns noch nie zuvor begegnet, aber wir steckten beide in derselben WhatsApp-Gruppe, um das Geschenk des gemeinsamen Kumpels zu planen. Sie umarmt meine Freundinnen, die neben mir stehen. Sie kennen sich bereits. Währenddessen beginnt es in meinem Kopf zu rattern: Wie soll ich die Fremde begrüßen? Mit einem Händedruck? Einer Umarmung? Oder reicht ein freundliches Lächeln?

Ihr ist die Verunsicherung ebenfalls anzusehen. Vorsichtig strecken wir beide die Hände nacheinander aus, dann entscheidet sie sich doch für die Umarmung, ich greife ins Leere, schlinge dann meine Arme schnell um ihre Schultern, während sie schon wieder nach meiner Hand sucht. Peinlich. Aus einer simplen Begrüßung wird ein Eiertanz.

Solche absolut unangenehmen Missverständnisse entstehen vor allem deswegen, weil wir nicht die eine allgemeingültige Grußregel haben. Wer hat ein Rezept dafür gefunden, ob man sich beim ersten Date mit einer Umarmung oder einem Kuss auf die Wange begrüßen soll? Ich weiß nur eines: Bei einem Handkuss würde ich schreiend weglaufen. Andere Frauen würden diese Geste aber womöglich charmant finden. Und weiter: Darf man seine Arbeitskollegen umarmen? Oder übertritt man damit eine Grenze? Wie sage ich meinen Freunden Hallo? Müssen sich Männer wild auf dem Rücken herumklopfen? Und dürfen sich Frauen nur unter Begleitung von freudigem Gequietsche um den Hals fallen?

Einige gehen einfach, ohne Tschüs zu sagen

Anschließend an das ganze Theater steht man vor der nächsten Herausforderung: Wie bitte verabschiede ich mich? Genügt es, in einer großen Runde mit den Worten „Ich mach mal so“ zweimal auf den Tisch zu klopfen und sich mit einem letzten Abschiedswinken aus dem Staub zu machen? Um sich nicht für eine der zahlreichen Varianten entscheiden zu müssen, bevorzugen einige den „polnischen Abgang“ – sie gehen einfach, ohne Tschüs zu sagen.

Als Kind ist das einfacher. Denn alles ist erlaubt. Du darfst der bösen Tante bei der Begrüßung in die Nase kneifen, und sie findet es wahrscheinlich noch lustig. Du kannst aber auch einem wildfremden Menschen in die Arme springen, und er wird sich garantiert freuen.

Mit der Pubertät ändert sich die Freiheit des Grüßens schlagartig. Zu meiner Schulzeit haben wir vor der ersten Unterrichtsstunde einen wahren Begrüßungsmarathon auf dem Flur ausgetragen. Die Jungs studierten lässige Handshakes mit Drehungen und dazugehörigen Geräuschen ein. Die Mädchen umarmten sich entweder (die engeren Freundinnen fester und gut fünf Sekunden länger) oder gaben sich sogar einen Kuss auf den Mund. Bei aller Liebe, das muss heute nicht mehr sein.

Bitte nicht in die peinliche Begrüßungsfalle tappen

Inzwischen hat sich die Umarmung in meinem Freundeskreis als Standard durchgesetzt. Anders verhält es sich, wenn ich die Freunde und Bekannten meiner Eltern begrüße. In dieser Generation hat sich offenbar der Küsschen-links-Küsschen-rechts-Gruß etabliert. Noch komplizierter wird es, wenn wir gemeinsam bei unserem Stammgriechen in Norderstedt zum Essen gehen. Denn die Besitzer verteilen gleich drei Wangenküsse. Wer das nicht weiß, tappt in die peinliche Begrüßungsfalle. Hilfe! Wer blickt da noch durch?

Die Art des Grußes ist in meinen Augen aber nicht nur abhängig von dem Verhältnis zueinander, dem Alter und der Nationalität. Sondern vor allem vom Charakter. Eine stumme Umarmung kann mehr über die Persönlichkeit eines Menschen verraten als ein zweistündiges Gespräch. Wer fester zudrückt, begegnet anderen mit mehr Offenheit und Selbstbewusstsein. Wer sich bei der Umarmung kaum traut, sein Gegenüber zu berühren, hat häufig Angst davor, verletzt zu werden und Nähe zuzulassen.

Dabei gibt es doch eigentlich kaum etwas Schöneres als eine herzliche Umarmung. Wir setzen währenddessen das Hormon Oxytocin, besser bekannt als Kuschelhormon, frei. Es reduziert Stress und verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Schon die US-amerikanische Familientherapeutin Virginia Satir behauptete: Menschen brauchen am Tag vier Umarmungen zum bloßen Überleben, acht Umarmungen, um stabil zu bleiben und zwölf Umarmungen, um wachsen zu können. Dann mal los!