Ja, Gewohnheiten haben einen schlechten Ruf. Wie langweilig, wie eintönig. Aber manchmal sind sie auch … einfach schön.
Vergangene Woche ist meine Welt ins Wanken geraten. Was passiert ist? Ich habe mein Auto, liebevoll das „Bella-Mobil“ genannt, in die Werkstatt gebracht. Die Bremsbeläge mussten erneuert werden. So weit, so unspektakulär. Doch als ich es am nächsten Tag wieder abgeholt habe, traf es mich wie ein Donnerschlag: Die Mechaniker hatten die Uhr im Wagen umgestellt. Auf die richtige Zeit.
Mit jedem Jahr hat sich die digitale Zeitanzeige von selbst ein Stückchen weiter vorgestellt. Harte Arbeit steckte dahinter. Wollte ich wissen, wie spät es wirklich ist, musste ich in der Winterzeit eine Stunde und neun Minuten zurückrechnen, während des Sommers neun Minuten. Es klingt verrückt, aber: Dieser Puffer hat mich entspannt. Normalerweise löst der Blick auf die Uhr Hektik in mir aus. Meine Freunde wissen, ich bin eher der Typ Punktlandung und fahre selten früher los, als ich muss (sorry!). Ja, keine gute Idee als ohnehin ungeduldige Autofahrerin.
Wenn mir aber die falsche Uhrzeit auf dem Display angezeigt wurde, war mir stets klar: Ach, mir bleiben ja noch neun Minuten. Alles im Lot. Ein ganz einfacher psychologischer Trick. Jetzt tickt meine Uhr (im Gegensatz zu mir) aber wieder richtig. Seitdem ist mein Zeitgefühl völlig außer Kontrolle geraten – so sehr hatte ich mich an die falsche Anzeige gewöhnt. Ich habe sogar schon überlegt, die Uhr eigenständig wieder vorzustellen. Aber das wäre schon ziemlich abgedreht, oder?
Den Gewohnheitsmenschen werfen schon kleine Änderungen aus der Bahn
Sie merken: Als Gewohnheitsmensch können einen schon winzig kleine Veränderungen im Alltag aus der Bahn werfen. In solchen Momenten wird einem erst bewusst, wie viel Routine im eigenen Leben steckt. Unheimlich. Sie zeigt sich schon morgens nach dem Aufstehen. Ein kleiner, privater Einblick.
Nachdem mein Wecker geklingelt hat, schlafwandle ich in die Dusche. Meistens weiß ich nicht mehr, wie ich ins Badezimmer gekommen bin. Ich massiere mir das Shampoo in die Haare ein, benutze Duschgel, dann die Spülung. Immer in derselben Reihenfolge. Anschließend putze ich mir die Zähne – erst die untere Kauleiste, dann oben und wieder unten. Fertig. Zum Frühstück esse ich meistens drei Scheiben Toast. Die Bahn zur Arbeit nehme ich um 9.02 Uhr. Während der Fahrt bin ich allerdings sehr flexibel: Entweder lese ich ein Buch oder höre Musik. Meine Augen öffne ich so richtig erst in der Redaktion.
Was klingt wie eine Zwangsstörung, navigiert die meisten Menschen durch ihren Tag: die Gewohnheit. Dabei ist sie häufig mit einem negativen Image behaftet. Zum Beispiel in Beziehungen. Routine heißt Langeweile. Eintönigkeit. Krise. Aber kann sie nicht auch schön sein?
Die Bettseite tauschen? Eine schreckliche Vorstellung
Vor einigen Wochen hat ein irischer Journalist bei Twitter eine Debatte ausgelöst. Er gab zu, dass er und seine Freundin Amy nicht jede Nacht auf derselben Seite des Bettes schlafen würden. „In manchen Nächten mag ich es, am Fenster zu schlafen, in manchen lieber an der Tür. Das ist doch nicht so ungewöhnlich, oder?“, schrieb er. Oh, doch. Das zeigten auch die Reaktionen der anderen Nutzer: „Der einzige Grund, warum ich noch mit meinem Ehemann zusammen bin, ist, dass ich so viel Angst habe, dass ein neuer Partner meine Bettseite wollen könnte!“ Oder: „Hier bin ich, 36 Jahre alt, und dachte, mich könnte nichts mehr von dem überraschen, was andere Leute so im Bett treiben.“ Herrlich.
Aber mal ehrlich: Wer tauscht denn bitte seine Seiten im Bett?! Gewohnheiten sind also durchaus gewollt und haben etwas Positives. Ohne sie wäre unser Gehirn zudem restlos überfordert mit der täglichen Detailflut. Der Routine haben wir es zu verdanken, dass wir in Stresssituationen nicht vergessen, wie das Zähneputzen funktioniert.
Der Glücklichen schlägt keine Stunde – wie auch, ohne Batterie?
Gerade am Wochenende habe ich wieder festgestellt, wie schön es ist, Konstanten in seinem Leben zu haben. So wie seine Schulfreunde. Bei einem Geburtstagsbrunch habe ich Freundinnen wiedergesehen, mit denen ich Abi gemacht habe – eine davon ist nach Dänemark ausgewandert, die andere lebt in Hannover. Trotzdem fühlt sich jedes Treffen an wie nach Hause kommen.
Und sie wissen: Ich pflege ein besonderes Verhältnis zu Uhren. Wer auf meine Armbanduhr schaut, wird enttäuscht. Da ist nämlich die Batterie leer.