Seit Tagen überlege ich, wie ich es Ihnen beibringe. Ich war auf dem Konzert von … Soll ich es wirklich sagen?

Liebe Leser, ich muss Ihnen etwas beichten. Das ist wirklich nicht leicht für mich. Seit Tagen wälze ich mich nachts im Bett und überlege, wie ich Ihnen die Wahrheit möglichst schonend beibringen soll. Sie kennen mich inzwischen relativ gut, da ich nun schon seit zwei Jahren aus meinen (halb so) wilden Zwanzigern berichte. Aber ein paar Geheimnisse habe ich für mich behalten. Bis jetzt.

Es ist Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen – um anderen Betroffenen Mut zu machen, sich ebenfalls zu outen. Um ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht schämen müssen. Denn sie sind nicht allein: Am Freitagabend feierten 9000 andere Menschen mit mir auf einem DJ-Bobo-Konzert in der Barclaycard Arena eine riesige Party. So, jetzt ist es raus ...

Für meinen Freundeskreis war die DJ-Bobo-Beichte ein Schock. Als hätte ich erzählt, dass ich bis vor ein paar Jahren noch ein Mann war. „Hast du Freikarten geschenkt bekommen?“ und „Da würde ich nicht mal umsonst hingehen“ zählten zu den häufigsten Reaktionen – verbunden mit lautem Gelächter. Ja, wir sind irgendwie damit aufgewachsen, dass DJ Bobo nicht gerade zu den Coolen gehört. Trotzdem sind seine Konzerte fast immer ausverkauft. Der Schweizer landete 1993 mit „Somebody Dance With Me“ seinen ersten Nummer-eins-Hit, da wurde ich gerade ein Jahr alt. Seit fast drei Jahrzehnten hält sich Bobo als letzter Überlebender der Eurodance-Bewegung (die ja eher so von vorvorgestern ist) in der Musikszene. Mit schlechten Rap-Einlagen, aber dafür mit großartigen Bühnenshows. Diese werden im Übrigen von heimlichen Fans immer wieder als Rechtfertigung genutzt, seine Konzerte zu besuchen.

Auch wenn es von der Allgemeinheit eher als peinlich empfunden wird, zu DJ-Bobo-Songs zu tanzen, haben meine beste Freundin, ihre Mutter und ich jedem von unserem Konzertbesuch erzählt. Anders als zwei Mädels, die beim Einlass hinter uns in der Schlange standen. „Hoffentlich sieht uns niemand, den wir kennen“, flüsterte die eine der anderen ins Ohr.

Ja, es gibt Dinge, die wir lieber für uns behalten. Wie zum Beispiel, das Dschungelcamp zu gucken, einen Helene-Fischer-Becher im Küchenschrank stehen zu haben oder HSV-Fan zu sein. Sie dürfen sich an dieser Stelle gern selbst überlegen, was davon auf mich zutrifft. Wer weiß, vielleicht stimmen sogar alle drei Auswahlmöglichkeiten. Fest steht: Wir haben Angst davor, negativ aufzufallen und nicht den Vorstellungen der Gesellschaft zu entsprechen. Was sollen bloß die anderen von mir denken?

Diese Frage stellen wir uns viel zu häufig. Schon einem schreienden Kleinkind im Supermarkt wird beigebracht, sich anzupassen. „Sei still, die Leute gucken schon“, zischen die Eltern dann. Und dass die Leute gucken, will man schließlich mit aller Kraft vermeiden. Das könnte ja unangenehm sein. Als Kind war mir das egal. Als Teenager hingegen ganz und gar nicht mehr.

Ich weiß noch, wie ich als Fünftklässlerin meine No-Angels-Poster, mit denen ich meine kompletten Zimmerwände gepflastert hatte, Stück für Stück abnahm und unter Herzschmerz in eine große Mülltüte schmiss. Die Girl-Band war auf der weiterführenden Schule einfach nicht mehr cool. So wollte ich meine Mitschüler nicht zu mir nach Hause einladen.

Inzwischen habe ich daraus gelernt. Zwar werde ich keine Poster von DJ Bobo in meiner Wohnung aufhängen (welch ein Glück für meinen Freund!), aber ich stehe auch zu den vermeintlich „peinlichen“ Sachen, die ich mache. Na ja, meistens zumindest. Ich gucke als so ziemlich einziger junger Mensch gern den Eurovision Song Contest, gehe verkleidet auf den Schlagermove und glaube, dass sich die Teilnehmer bei der Kuppel-Show „Der Bachelor“ wirklich inein­ander verlieben. Ab und zu ein wenig peinlich zu sein finde ich wunderbar.

Aber um eines klarzustellen: Ein DJ-Bobo-Fan­ bin ich nicht. Wirklich nicht. Seine Konzerte sind Kult. Der fröhliche Schweizer nimmt einen mit in seine heile Gute-Laune-Welt. Und für zweieinhalb Stunden kann man einfach abschalten, Spaß haben und seine alten Hits mitgrölen. Dass wir schon zum zweiten Mal auf einem seiner Konzerte waren, muss ja nicht unbedingt jeder wissen ...