Der Kieler Streit um die Vollverschleierung zeigt: Frauen- und Minderheitenrechte sind wieder verhandelbar.
Es ist 13 Jahre her, da veröffentlichte Henryk M. Broder das sarkastische Buch „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken“. Der damalige „Spiegel“-Journalist und 68er kritisierte darin die Appeasementpolitik gegenüber dem Islamismus und stellte die Frage, ob ein System umso anfälliger für totalitäre Versuchungen werde, „je liberaler es ist und je weniger Erfahrung es mit politischen Ideen gemacht hat, die sich demokratischer Mittel bedienen, um die Demokratie auszuhebeln“.
2006 klang das etwas übertrieben. Angesichts eines in Deutschland eher zurückhaltenden Islam, der von der säkularen Türkei geprägt war, galt schon die Kopftuch-Debatte als Ereignis. Inzwischen ist Broders Frage aktueller denn ja. Das Kopftuch ist längst als modisches Accessoire akzeptiert. Die Verschleierung der Köpfe und Hirne geht weiter.
Kieler Streit um den Nikab
In Kiel tobt derzeit ein Streit um den Nikab: Eine Konvertitin ohne Migrationshintergrund trug im Dezember demonstrativ den Schleier mit Augenschlitz und wollte damit offenbar die Schmerzgrenze der deutschen Gesellschaft in Sachen Islamisierung weiter verschieben. Als Reaktion darauf hat das Präsidium der Christian-Albrechts-Universität ein Vollverschleierungsverbot verhängt.
Ein folgerichtiger und vernünftiger Schritt, sollte man meinen. Doch die Nikab-Trägerin will nun öffentlichkeitswirksam bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen – und bekommt Unterstützung von der „Föderalen Islamischen Union“, einem Salafistenverein, der für separaten Schwimmunterricht an Schulen und gegen das Verbot der Vollverschleierung kämpft. Kurzum also für Werte, die für einen Rückfall ins 19. Jahrhundert stehen. Mindestens.
Doch nicht nur Salafisten kämpfen Seite an Seite mit der Islamistin, sondern auch der Kieler Allgemeine Studierendenausschuss. Er wittert Diskriminierung. In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft könne es nicht sein, „dass Frauen aufgrund ihrer religiös begründeten Entscheidung, eine Vollverschleierung zu tragen, der Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen versperrt wird“.
Ein Symbol für Weltoffenheit?
Es werde hier „gezielt und ausschließlich in die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit von Muslim*innen eingegriffen“, meint der AStA. Dabei ist auch der Zentralrat der Muslime gegen den Nikab und nennt „das Gesichtzeigen pädagogisch und lerntechnisch unverzichtbar“. Das ficht den AStA nicht an. Er übersieht, wie sehr es der Mehrheit der gemäßigten Muslime schadet, wenn die Radikalen gestärkt werden.
Auch die Grünen, die einst der Emanzipation eine Bresche geschlagen haben, lehnen ein Verschleierungsverbot ab: Die Möglichkeit, religiöse Symbole zu tragen, zeichne eine weltoffene Gesellschaft aus. Wirklich? Ist der Nikab ein Symbol für Weltoffenheit? Darauf muss man erst einmal kommen.
Weil viele schlichte Gemüter Islamkritik mit AfD gleichsetzen, gilt die Verteidigung auch des radikalen Islam automatisch als eine gute und edle Sache. Der „Spiegel Online“-Kolumnistin Margarete Stokowski gelang diese Woche ein Meisterwerk des Relativierens: „Jede der großen Weltreligionen hat ein Problem mit Frauen“, weiß die Feministin.
Umgang mit religiösen Radikalen
Alle großen Weltreligionen seien daran beteiligt, „Frauen das Leben zur Hölle zu machen. Wenn nun linke Feministinnen sich daraus nicht nur ausgerechnet den Islam als Hauptproblem herauspicken, dann ist das nicht verwunderlich oder blind, sondern konsequent.“
Vielleicht sollte sie sich einmal mit Samuel Schirmbeck unterhalten, auch wenn der nur ein „alter weißer Mann“ ist. Der 68er hat jahrzehntelang in Algier als Korrespondent gearbeitet und die schleichende Islamisierung erlebt. „Von Afghanistan bis Algerien liegen sie aller Welt vor Augen: Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, Minderstellung der Frau im Namen Gottes.
Diskriminierung religiöser und kultureller Minderheiten, Verfolgung Homosexueller, Blasphemiker und Apostaten, Verweigerung der Gewissensfreiheit und der Trennung von Staat und Religion“, schreibt er in seinem Buch „Der Islamische Kreuzzug und der ratlose Westen“. Und fügt hinzu: „Was den Islam und Frauen betrifft, können vor allem Linke, Grüne und Sozialdemokraten nicht bis drei zählen.“ Das ist starker Tobak.
Aber der Umgang mit religiösen Radikalen wird für die Linken zur Gretchenfrage: Was sind ihnen die Werte der Freiheit noch wert?