Es ist ein organisierter Raubzug: Cum-Ex-Geschäfte und Aktien-Karussells untergraben unser Vertrauen in die Wirtschaft.
Vielleicht hat Bertolt Brecht doch recht: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, dichtete er in der Dreigroschenoper. Die Volksbanken, Sparkassen und Darlehenskassen wird er damit nicht gemeint haben – für die global tätige Finanzindustrie aber scheint der Satz aus dem Jahr 1931 aktueller denn je.
Zumindest drängt sich dieser Verdacht auf, wenn man die Recherche-Ergebnisse des Netzwerks Correctiv und Reportern aus zwölf Ländern liest: Sie haben nicht nur Zehntausende Seiten Akten, Gutachten und Ausschussberichte ausgewertet, sondern auch mit Tätern und Insidern gesprochen. Sie haben ans Licht gebracht, dass die Schäden aus den sogenannten Cum-Ex-Geschäften nicht nur viel größer sind als angenommen, sondern auch viel mehr Länder in Europa betreffen.
Steuerbetrug: Karussell im Aktienhandel
Demnach haben einige Banken, Investoren und Hedgefonds bewusst ein kompliziertes Karussell im Aktienhandel konstruiert, um sich einmal gezahlte Kapitalertragssteuern gleich mehrfach vom Staat rückerstatten zu lassen. Auch wenn noch nicht letztinstanzlich geklärt ist, ob dies am Ende nur das Ausnutzen eines Steuerschlupfloches war, zeigen die Recherchen: Die Banker wussten genau, was sie taten.
Die im großen Stil involvierte australische Bank Macquarie diskutierte im Vorstand die Gefahren und Reputationsrisiken, entschied sich dann aber für die Rendite. Und viele andere Banken und amerikanische Pensionsfonds kamen zu einem ähnlichen Schluss wie Mac-heath in der Dreigroschenoper. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“
Wer Regeln der Marktwirtschaft verletzt, gehört aus dem Spiel genommen
Den Schaden haben alle Steuerzahler – dem Fiskus könnten durch diese steuergetriebenen Geschäfte mindestens europaweit 55,2 Milliarden Euro entgangen sein. Es dürfte schwer werden, das ganze Geld zurückzubekommen. Aber die Recherchen der Journalisten werden helfen, den Druck auf die Beteiligten zu erhöhen. Offenbar gibt es in Europa weiter Möglichkeiten zum Steuerraub, weil manche schnell und skrupellos jede Gesetzeslücke ausnutzen.
Wo immer Strafen möglich sind, müssen Strafen verhängt werden. Wer die Spielregeln der Marktwirtschaft verletzt, gehört aus dem Spiel genommen. Europa kann dabei von Amerika lernen: Die USA mit ihren drakonischen Milliardenbußen für die Finanzindustrie wären das richtige Vorbild. Denn bei diesem Geschäft geht es eben nicht um „1000 ganz legale Steuertricks“, es geht um die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft.
Die Weltwirtschaftskrise 2008 wurde maßgeblich von der Finanzindustrie ausgelöst. Sie hat über Jahre erfolgreich Gewinne privatisiert und dann ihre Verluste sozialisiert. Es waren Steuerzahler, die die taumelnden Banken und das Finanzsystem am Ende retten mussten. Dass ausgerechnet Institute, die sich in der Krise vom Staat retten ließen, sich nur wenig später auf dessen Kosten bereicherten, zeigt die moralische Verkommenheit der Akteure. „Wir haben aus dem Fenster geguckt und gedacht: Wir sind die Schlausten, wir sind die Genies, und ihr seid alle doof“, sagt ein Insider gegenüber „Panorama“.
Er steht für eine Schar der vom Schicksal Verwöhnten, denen ihr Reichtum und ihr Glück nicht genügten. Zu den Profiteuren der großen Gier zählten Anwälte, Steuerberater, Superreiche und ein ehemaliger Steuerfahnder.
Sie haben den Ländern nicht nur Geld geraubt, sondern etwas vernichtet, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält: Vertrauen. Sie zersetzen ein System, das sie selbst stark gemacht haben. Wie heißt es beim guten Menschen von Sezuan: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“