Politisches Bewusstsein ist im Sport verpönt. Der Fall Gündogan und Özil zeigt: Ein Umdenken ist erforderlich.
Das Satire-Magazin „Postillon“ hat es dieser Tage ironisch zugespitzt: Die Familien von Mesut Özil und Ilkay Gündogan seien in der Türkei wieder freigelassen worden, nachdem sich die deutschen Fußball-Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in London bei der Übergabe eines von Gündogan handschriftlich signierten Trikots („Für meinen Präsidenten“) hatten ablichten lassen.
Die Botschaft der Satire war klar: Nur in einer Bedrohungslage würden junge, mündige Männer einem Politiker, der in seinem Land demokratische Strukturen abschafft und Menschenrechte außer Kraft setzt, die Ehre erweisen. Vor allem wenn sie mit ihrem Sport in der gelebten Freiheit Deutschlands Vorbilder und von der Gesellschaft akzeptierte Millionäre geworden sind. Oder?
In der Wirklichkeit wurde über den polarisierenden Auftritt während des türkischen Wahlkampfs hierzulande das Deckmäntelchen der Dummerhaftigkeit gebreitet. Özil und Gündogan hätten nicht wissen können, welche Folgen ihre Aktion haben würde, hieß es. Denken ist ja nicht so die Sache mancher Fußballprofis, heißt das im Klartext. Außerdem hätten sie als Migranten das Problem der gespaltenen Herzen: Wurzeln in der Türkei, Leben in Deutschland. Auch das müsse man verstehen. Aber grundsätzlich seien sie natürlich nicht politisch. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Man habe sich ja auch schon mit der Kanzlerin fotografieren lassen. Alles gut also?
Es lohnt sich ein Blick in die Olympische Charta
Die grundsätzliche Frage ist aber: Wie wollen wir unsere Vorzeigesportler? Angepasst, ohne eigene Meinung? Oder mündig und mit Haltung? Die Antwort ist sicherlich eindeutig. Aber was ist, wenn wie im Falle von Gündogan und Özil die öffentliche Darstellung zweier Vorzeigesportler nicht nur kritisierbar, sondern vielleicht gefährlich ist? Eben weil sich der türkische Ministerpräsident erwiesenermaßen außerhalb demokratischer Spielregeln stellt und das Signal in die Welt da draußen fatal ist: Wir ehren einen umstrittenen Regierungschef.
In dem Zusammenhang lohnt sich ein Blick in die Olympische Charta. Dort heißt es: „Die olympische Bewegung setzt sich zum Ziel, einen Beitrag zum Aufbau einer friedlichen, besseren Welt zu leisten, indem sie die Jugend mithilfe des Sports erzieht, eines Sports, der auf jede Form der Diskriminierung verzichtet, gegenseitiges Verstehen, den Geist der Freundschaft, Solidarität und Fairplay vorlebt.“ Daraus lässt sich durchaus ein politischer Anspruch ableiten. Gleichzeitig verbietet das olympische Grundgesetz aber politische Äußerungen.
Ein scheinbarer Widerspruch, in dem sich der Sport stets bewegt, der aber die Prominenten nicht daran hindern sollte, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln. Ein Beispiel dazu: In den USA haben sich zunehmend Sportler aus dem Basketball, dem Baseball, dem American Football getraut, Haltung zu beziehen. Sie protestieren gegen den Rassismus und die minderheitenverachtende Politik eines Präsidenten Donald Trump. Beim Abspielen der Hymne knien diese Sportler, ihr sichtbares Zeichen des Widerstands. Sogar dann, wenn ihnen Arbeitslosigkeit droht, weil sie kein Club mehr unter Vertrag nehmen will.
Politisches Nachbeben in Deutschland
In Deutschland gründen Athleten Initiativen. Damit demonstrieren sie ihre Mündigkeit, aber auch dass sie das sportpolitische System akzeptieren. Sie nehmen konstruktiv Teil am öffentlichen Meinungsprozess. Wenn sie etwas verändern wollen, dann zumeist im Diskurs. Auch das ist eine Haltung.
Die Aktion von Özil und Gündogan hat nichts davon. Im Gegenteil: Die Fußballprofis (oder ihre Berater) hätten wissen müssen, dass dieser von der Türkei lancierte PR-Termin ein politisches Nachbeben in ihrem Heimatland Deutschland haben muss. Nichtwissenwollen war noch nie ein gutes Argument. Genauso wenig wie das Spiel mit dem Feuer. Beides zeigt nicht nur die deutsche Geschichte.
Der Nationalspieler-Kollege Emre Can – derzeit verletzt und wie Gündogan und Özil in Lohn und Brot bei einem englischen Premier-Club – hat das Treffen mit Erdoğan abgelehnt. Auch er ist türkischer Abstammung. Das nennt man eine demokratische Grundhaltung.