Radprofi Christopher Froomesteht unter Dopingverdacht. Bestimmt hat er eine saubere Erklärung.
Meine Mutter hatte Asthma. Jeder Atemzug, den sie nicht schaffte, schnitt uns Kindern ins Herz. Anrufe beim Notarzt gehörten ebenso zum Alltag wie die Angst, sie könne ersticken, bevor Hilfe kommt. Meist waren das Kortisonspritzen, die gefühlt nach Stunden erst lindernde Wirkung entfalteten.
Unvorstellbar nach diesen persönlichen Erlebnissen ist die Vorstellung, dass asthmakranke Sportler solch imposante Höchstleistungen erbringen können wie beispielsweise der englische Radprofi Christopher Froome. Der siegte in diesem Jahr nicht nur beim schwersten Radrennen der Welt, der Tour de France, nach 3540 Kilometern, sondern knapp vier Wochen später bei der Spanien-Rundfahrt gleich noch einmal nach 3664,2 Kilometern. Wirklich beeindruckend. Das schafften vor ihm nur zwei andere Männer in der Geschichte des Radsports. Und das, obwohl Froome unter anderem an einer von Ärzten diagnostizierten Erkrankung der Atemwege leidet.
Nun ist bei einer Dopingkontrolle während der Spanien-Rundfahrt herausgekommen, dass der derzeit beste Radfahrer der Welt einen überhöhten Wert eines Asthmamittels im Urin hatte. Genauer gesagt, die doppelte Menge des Erlaubten. Ich bin sicher, sein Rennstall Sky, ebenfalls einer der erfolgreichsten der vergangenen Jahre, wird dafür eine saubere Erklärung finden. So wie sie alle Erklärungen finden, wenn sie medizinische Auffälligkeiten erklären müssen, Doping genannt.
Ja, der Radsport hat eine besonders lange Liste von Athleten, die des Betrugs durch leistungssteigernde Mittel überführt wurden. Fast jeder Sieger der großen Rundfahrten inklusive des immer noch leugnenden deutschen Helden, Jan Ulrich, wurde seit der ersten Austragung 1903 irgendwann mit irgendetwas erwischt. Die Wahl der Mittel ist dem medizinischen Forschungsstand angepasst einfallsreich und manchmal exzentrisch wie das zur Kälberzucht verwendete Clenbuterol, das einst die Sprinterin Katrin Krabbe einnahm, um den anderen davonzurennen. Asthmaspray ist da sozusagen das tägliche Brot der Hochleistungsbranche.
Etwa fünf Prozent der Erwachsenen leiden an Asthma. Bei internationalen Radsportveranstaltungen haben zwischen 50 bis 70 Prozent der Profis eine Ausnahmegenehmigung zur Einnahme von Asthmamitteln. Bei olympischen Winterspielen legen bis zu 70 Prozent der teilnehmenden Sportler entsprechende Atteste vor. Im Sommer sind es immerhin 20 Prozent.
Sobald Asthmatiker sich körperlich anstrengen, können Husten, pfeifende Atmung und Luftnot auftreten. Abrupte Wechsel zwischen Belastung und Ruhe sind zu vermeiden: Darauf können die Atemwege mit Beschwerden reagieren. Deshalb sollten sich Betroffene vor dem Sport aufwärmen und am Ende der Belastung das Tempo langsam und schrittweise herunterfahren, um wieder abzukühlen. Wichtig ist, dass während der Belastung die anaerobe Schwelle, also die höchstmögliche, dauerhafte Belastungsintensität, nicht überschritten wird. Nachzulesen in jedem Asthmaforum.
Ich will ehrlich sein, ich weiß nicht, was Christopher Froome und all die Kollegen und Kolleginnen quer durch alle Sportarten einnehmen, die wie er durch Atemnot gekennzeichnet an ihre Grenzen gehen. Ich weiß auch nicht, ob es gerechtfertigt ist. Es ist mir sogar egal. Der Wille zum Betrug, so scheint es, ist bei vielen Menschen auch und gerade im nachmessbaren Leistungsbetrieb Sport systemimmanent angelegt. Das muss man wohl so hinnehmen. Was ich aber auf keinen Fall mehr wissen möchte, sind die Intelligenz-beleidigenden Ausreden.
Die Mountainbike-Fahrerein Yvonne Kraft behauptete, der Asthmainhalator ihrer Mutter sei in ihrem Beisein explodiert. „Vor Schreck hab ich ,huch‘ gesagt und wohl versehentlich etwas inhaliert.“ Hübsch auch die Erklärung des Radprofis Christian Henn. Ihm wurde ein von der Schwiegermutter empfohlener Tee zur Stärkung der Zeugungskraft zum Verhängnis. Oder Bobfahrer Lenny Paul. Er stärkte sich mit Spaghetti vor dem Wettkampf. Das Fleisch müsse von hormonverseuchten Rindern stammen, erklärte er – und erhielt einen Freispruch.
Ich bin es so leid! Sagt doch einfach mal die Wahrheit: Ich wollte gewinnen. Dafür war mir jedes Mittel Recht. Ich habe betrogen, das fiel auf. Deshalb nehme ich meine Strafe an. Und gut ist.