Nach dem Sieg gegen Schalke schöpfen die Hamburger wieder Hoffnung. Doch wie lange währt die Euphorie?

Es ist eigentlich wie so häufig in den vergangenen Jahren. Der HSV hat nach 15 sieglosen Partien in Folge wieder ein Spiel gewonnen, und schon herrscht ein Anflug von Euphorie in der Stadt. Selbst die längste Sieglos-Serie der Vereinshistorie scheint nach dem 3:2 gegen Schalke vergessen. Doch einiges ist diesmal anders. Es gibt durchaus Anzeichen, die für eine nicht mehr für möglich gehaltene Rettung sprechen.

Der neue Trainer Christian Titz hat es mit diversen Maßnahmen geschafft, dass Spieler und Fans wieder an den Klassenerhalt glauben. Der Fußballlehrer hat die Mannschaft komplett umgekrempelt. Etablierte Spieler wie Dennis Diekmeier und Christian Mathenia wurden nach seiner Übernahme vor exakt einem Monat aussortiert. Störfaktoren wie Mergim Mavraj und Walace, die in der Kabine für schlechte Stimmung gesorgt hatten, wurden gar in die zweite Mannschaft abgeschoben.

Die Jungen und die Ausgemusterten überzeugen

Teambildende Maßnahmen wie ein Bowlingabend und zwei griechische Essen auf Kosten des vorherigen Trainer-Kritikers Kyriakos Papadopoulos haben den Zusammenhalt zurückgebracht.

Der Autor ist HSV-Reporter beim Abendblatt
Der Autor ist HSV-Reporter beim Abendblatt © HA/Mark Sandten

Auf dem Platz wirbeln plötzlich Youngster wie Flügelflitzer Tatsuya Ito, Offensivspieler Luca Waldschmidt und Stratege Matti Steinmann, die zuvor entweder kaum oder gar keine Einsatzchancen bekommen hatten. Ihnen zur Seite stehen erfahrene Profis wie Aaron Hunt und der eigentlich schon ausgemusterte Lewis Holtby, deren Stärken in dem neuen, ballbesitzorientierten Fußball sichtbar besser zur Geltung kommen.

Titz hat das Gesicht der Mannschaft und ihre Spielweise verändert. Nichts erinnert mehr an die gruseligen, teilweise ängstlichen Auftritte in dieser Saison unter den Ex-Trainern Markus Gisdol und Bernd Hollerbach. Mit seiner Radikalkur ist es dem neuen HSV-Coach auch gelungen, dass die Fans wieder geschlossen hinter der Mannschaft stehen. Ihre Wünsche nach einem Umbruch, der Einbindung von jungen Spielern sowie offensivfreudigem und ansehnlichem Fußball wurden erhört.

Fußball ist Ergebnissport – die Euphorie kann verfliegen

Natürlich reichen diese Veränderungen alleine nicht, um den Fan auf lange Sicht glücklich zu machen. Mit dem Sieg gegen Schalke ist nun aber der Glaube zurückgekehrt, dass Titz’ Plan nicht nur eine bessere Zukunft, sondern auch eine bessere Gegenwart einleiten kann.

Doch gerade weil Fußball ein Ergebnissport ist, kann die Euphorie schnell wieder verflogen sein. Bei einer nicht unwahrscheinlichen Niederlage bei der TSG Hoffenheim und einem Mainzer Heimsieg zwei Tage später gegen Freiburg könnte der Abstand zum Relegationsplatz auf acht Punkte anwachsen – und der erstmalige Gang in die Zweite Liga wäre plötzlich wieder näher als sämtliche Europapokal-Träume der Verantwortlichen in den zurückliegenden Jahren.

Vor dem Spiel gegen Schalke galt der HSV als sicherer Absteiger. Die Mannschaft konnte dadurch befreit aufspielen – und siegte. Beim Auswärtsspiel gegen Hoffenheim ist der Druck größer. Der HSV hat auf einmal wieder etwas zu verlieren, kann aber auch den Anschluss auf Hauptkonkurrent Mainz schaffen.

Titz hat gezeigt, welcher Fußball möglich ist

In den verbleibenden fünf Spielen dürfen sich die Hanseaten keine Niederlage mehr erlauben. Mit jeder Pleite könnten die Chancen auf den Klassenerhalt auf den Nullpunkt sinken. Allein diese Tatsache spricht gegen das nächste Fußball-Wunder von Hamburg – und das weiß auch Titz. Können seine neu ins Team beorderten Jungprofis mit dieser enormen Drucksituation angemessen umgehen?

Auch nach dem ersten Sieg im Jahr 2018 steht der HSV vor einer Mammutaufgabe, die wohl nicht mehr zu bewältigen ist. Dennoch hat Titz gezeigt, welcher Fußball mit dieser Mannschaft möglich ist – und welche Spieler für den drohenden Neuanfang in Liga zwei stehen könnten. Selbst wenn sich der noch nicht gefundene neue Sportchef im Sommer gegen Titz und für eine prominentere Lösung auf dem Trainerstuhl entscheiden sollte, muss der Verein den eingeschlagenen Weg fortführen. Auch der voraussichtliche erstmalige Abstieg der Vereinsgeschichte sollte den Club nicht von diesem Kurs abbringen.