Flucht aus dem Abschiebegewahrsam offenbart Mängel beim Thema Abschiebung.
Die Geschichte klingt zuerst nach einem dummen Streich: Ein junger Mann stopft noch eben sein Bett in Silhouettenform aus, schleicht sich mit einem Komplizen durchs Fenster hinaus, per Räuberleiter geht es schnell über den Zaun. Und weg ist er.
Eine Posse, könnte man meinen – wäre der Vorfall nicht im Abschiebegewahrsam der Stadt passiert, hätte er nicht eine Vollsperrung des Flughafens zur Folge gehabt. Und würde der Ausbruch nicht ein Licht auf eine Einrichtung werfen, die in dieser Form weder sicher noch sinnvoll, weder konsequent noch kostengünstig ist; die für so vieles steht, was dem Staat beim Thema Abschiebung nicht gelingen will.
Betrachten wir zunächst die Zahlen: Eine Million Euro hat der Bau gekostet, für jedes Jahr rechnet die Stadt mit zwei Millionen Euro an laufenden Kosten – und damit deutlich mehr, als bislang erwartet wurde. Es wurde ein privater Sicherheitsdienst angeheuert, ein Spielplatz gebaut, insgesamt 20 Plätze für Ausländer geschaffen, die man daran hindern will, sich der Abschiebung zu entziehen.
Der Ertrag für den ganzen Aufwand: In den ersten Monaten wurden knapp 80 Menschen tatsächlich untergebracht. Wäre der Abschiebegewahrsam eine Gaststätte, wäre sie bald pleite. Das Areal am Flughafen ist ein starkes Symbol des Senats, aber ein ganz schlechter Deal für den Steuerzahler.
Der Haken liegt dabei mal wieder im Detail. Nur ein Teil der abgelehnten Asylbewerber kann auch abgeschoben werden – und wiederum nur einige von ihnen kommen rechtlich überhaupt für den Abschiebegewahrsam infrage. Wer nun glaubt, dafür könnten auf der anderen Seite vielleicht schwer straffällige Ausländer in dem Areal einquartiert werden, irrt aber ebenfalls: Das sei rechtlich nicht möglich, hieß es schon im Frühjahr von Schleswig-Holstein, das an dem Projekt mitwirkt.
Bislang gelingt es noch nicht einmal, alle harmlosen abgelehnten Asylbewerber innerhalb der Zäune zu halten. Bereits vier Menschen brachen aus, heißt es nun auf Nachfrage. Von sich aus mitgeteilt hatte die Ausländerbehörde keinen einzigen Fall. „Es ist eben kein Gefängnis“, heißt es nun. Der Satz offenbart, dass man wohl annahm, dass sich die Asylbewerber schon in ihr Schicksal fügen würden, sobald sie erst einmal in der Anlage seien. Als ginge es hier nicht um Menschen, deren ganzes Bestreben daran hängt, in Deutschland zu bleiben. Und als erkenne nicht schon das Strafrecht an, dass es ein ganz natürlicher Instinkt ist, zu fliehen. Die Konsequenz des Staates, die der Bau suggeriert, entpuppt sich schon auf den zweiten Blick als Fata Morgana.
Bevor die Stadt nun neue Maßnahmen ergreift, die weiteres Geld kosten, wäre es Zeit für ein Innehalten. Ist es die richtige Linie, voll auf Abschiebungen zu setzen? Wie kann der Gewahrsam verbessert werden, oder ist es besser, die Einrichtung zu schließen? Tatsächlich lassen sich die Hindernisse, die schnellere und zahlreiche Abschiebungen verhindern, oft kaum von der Politik beseitigen; es sind (europäische) Gerichtsurteile und Verfassungsrechte. Schon seinen Pass wegzuwerfen ist ein sehr wirksames Mittel, um für Jahre im Land bleiben zu dürfen.
Aber ihren Umgang mit der Realität kann die Politik bestimmen. Sie kann Stärke nur vortäuschen, immer wieder betonen, wie ernst sie es meint. Die tieferen Probleme wirklich angehen. Oder zumindest dafür sorgen, dass eine Einrichtung wie der Abschiebegewahrsam nicht nur ein teures Symbol bleibt.
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