Hamburg. Ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen verspricht nachhaltige Politik. Und könnte auch der SPD Vorteile bringen.

Viele haben das Ergebnis dieser Bundestagswahl als Desaster gedeutet, bei dem die Volksparteien verloren haben und die Demokratie im Ganzen durch den Einzug der AfD Schaden genommen hat. Aber die Abgesänge und Unkenrufe sind übertrieben.

Schon die Fixierung auf die Rechtspopulisten setzt den Fehler fort, der in den vergangenen Monaten im Übermaß begangen wurde. Sie hat die Partei ohne Not überhöht. Zum einen wurde die AfD dämonisiert und ausgegrenzt, zum anderen bekam sie zu viel Raum. Vor wem ständig gewarnt wird, der bekommt Aufmerksamkeit. Wer inhaltlich nicht ernstgenommen wird, muss nichts Ernstzunehmendes liefern. Und weil Talkshows ihr Personal nach den Kriterium Lautstärke statt Tiefenschärfe zusammenstellen, waren die Krawallschachteln der AfD dort gern gesehene Gäste. Sie machen Radau, bringen aber wenig Konstruktives zustande.

Die Partei nüchtern zur Kenntnis zu nehmen, ist geboten: Die Vorsitzende Frauke Petry hat gerade ihre Fraktion verlassen, offenbar weil sie die rassistischen Äußerungen mancher Mitstreiter nicht mehr erträgt. Dabei hatte sie einst den liberalkonservativen Parteigründer Bernd Lucke gestürzt und kürzlich noch selbst den Begriff „völkisch“ verwendet. Nur der gemeinsame Feind hielt die Flügel der AfD vor der Wahl zusammen, nun werden sie noch aufgeregter schlagen – und dann gestutzt. Die Partei hat ihr Hoch am Sonntag erreicht, von nun an geht’s bergab. Schon jetzt dürften sich manche Wähler abwenden, die ihre Stimme aus Protest abgegeben haben.

Union ist die Hauptverliererin der Wahl

Ihre Botschaft ist angekommen – die Große Koalition ist abgewählt. Das ist gut für Deutschland, dieses Bündnis war es nicht. In schlechten Zeiten vermögen Elefantenhochzeiten große Probleme zu lösen, in guten Zeiten schaffen sie eher große Probleme. Eines dieser Probleme ist die AfD.

Die Union ist die Hauptverliererin der Wahl. Die Merkel-Strategie, die Union ständig weiter nach links zu schieben, zersetzt nicht mehr allein die Sozialdemokraten, sondern schrumpft nun auch die CDU, vor allem die CSU. Allein wegen der Bayern-Wahl 2018 dürfte der Linksschwenk gestoppt sein. Die Union wird und muss sich wieder auf ihre Wähler und Anhänger besinnen. Der Wahlsonntag war der erste Kontakt mit einer neuen Wirklichkeit. Das Raumschiff Berlin ist gelandet, die Politik wird wieder geerdet.

FDP bringt ökonomische Vernunft, Grüne bringen ökologische Verantwortung

Weil die Union in Zukunft wirtschaftsnäher wie konservativer werden dürfte, halten Zweifler ein Jamaika-Bündnis für aussichtslos. Aber der Eindruck trügt: Wer sich wie 2013 von der SPD den Koalitionsvertrag in weiten Teilen diktieren lässt, wird an FDP und Grünen kaum scheitern. Deren Milieus sind der Union näher; beide Parteien repräsentieren das Bürgertum, stehen für Nachhaltigkeit und Pragmatismus. Die FDP bringt ökonomische Vernunft, die Grünen bringen ökologische Verantwortung in die Koalition ein.

Noch läuft die Konjunktur auf Hochtouren, das eröffnet den potenziellen Partnern Spielräume; der eine oder andere programmatische Graben lässt sich mit ein paar Geldsäcken stopfen. Bei der Zuwanderung wird die Union nach der Niederlage noch stärker auf eine europäische Begrenzung setzen und gleichzeitig nach Jahrzehnten der Blockade endlich einem modernen Einwanderungsgesetz zustimmen.

Investitionen in Bildung und Wissenschaften, eine digitale Offensive sind Konsens, eine nachhaltige Finanzpolitik ist es auch. Und der Streit um die Zukunft des Verbrennungsmotors – ein möglicher Knackpunkt – wird eine Lösung erfahren. Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird seine Schlüsselindustrie im Südwesten nicht über Gebühr beschädigen. An Reformmut hat es den Grünen übrigens nie gemangelt – die Agenda 2010 war eine rot-grüne Idee. Die Grünen haben sich deshalb nur nicht selbst zerfleischt.

SPD kann sich in der Opposition neu sortieren

Ob Europa-, Außen- oder Steuerpolitik, die Differenzen scheinen für Jamaika überwindbar. So nah wie heute waren sich die vier Parteien niemals zuvor. Nun muss gelingen, ein Klima des Vertrauens zu schaffen. Dieses Bündnis birgt nicht nur Konfliktpotenzial, sondern noch mehr Chancen: Der Kompromiss gebiert oft gute Lösungen. Ökologische wie ökonomische Nachhaltigkeit hätten bei Jamaika ein höheres Gewicht. Und nach Jahren des Diskursverlustes würde endlich wieder gestritten.

Selbst dem möglichen Scheitern von Jamaika wohnt eine Chance inne: Die SPD kann sich in der Opposition neu sortieren und dann über die Landtagswahlen eine bessere Ausgangslage erarbeiten. Die deutschen Wähler favorisieren auf Länderebene gern die Opposition. Bei einer Koalition aus Union, FDP und Grünen blieben nur zwei schrille Stimmen ganz links und ganz rechts – und eine seriöse im Zentrum. Das dürfte der traditionsreichen Partei alte Wähler, vielleicht sogar die verloren gegangene neue Mitte zurückbringen. Und bei der nächsten Wahl gäbe es eine Alternative für Deutschland, die diesen Namen verdient: die SPD.