Berlin. „Freud – Jenseits des Glaubens“ ist das Duell eines höchst zweifelhaften Treffens des Psychoanalytikers mit Schriftsteller C.S. Lewis.
Nicht auf die Couch! Da dürfen nur die Menschen Platz nehmen, die eine Therapie bei Sigmund Freud machen, nicht aber seine Gäste. Der Professor muss also mit einem Sessel vorliebnehmen. Therapiert wird er gleichwohl doch. Aber auch Freud muss sich unangenehme Fragen stellen lassen. Und am Ende liegt er selbst auf der Psycho-Couch. Vor Schmerzen gekrümmt. Wegen seines Mundhöhlenkrebses.
Der Vater der Psychoanalytiker gegen den Autor der „Narnia-Chroniken“
Der Film „Freud – Jenseits des Glaubens“, der diese Woche in die Kinos kommt, ist nicht, wie der Titel vermuten lässt, ein Biopic über den berühmten Begründer der modernen Psychoanalyse. Sondern schlägt nur ein ganz kleines Kapitel auf, noch dazu eines ganz unbelegten Zusammentreffens: das mit dem Literaturwissenschaftler C.S. Lewis, der in Oxford studiert, mit dem späteren „Herr der Ringe“-Autor J.R.R. Tolkien den Denkerkreis „Inklings“ führt und später als Autor der Kinder-Fantasybücher „Die Chroniken von Narnia“ große Popularität erlangen soll.
Das Treffen findet am 3. September 1939 statt, nur zwei Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Freud weilt da schon seit anderthalb Jahren im Exil in London, wohin er nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland geflohen ist. Das Radio ist voller sorgenvoller Nachrichten über die Ereignisse in Polen. Ein – verbürgter – Sirenenalarm, ein Testlauf, der versehentlich nicht angekündigt war und die Londoner in Panik versetzte, zwingt die beiden Herren obendrein kurz, Freuds gediegenes Domizil Maresfield Gardens zu verlassen und in einer Kirche Unterschlupf zu finden.
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Es gäbe also genug anderes, Aktuelles zu bereden. Aber Lewis will Freud treffen, um mit ihm über letzte Dinge zu sprechen. Über die Existenz Gottes in diesen gottlosen Zeiten. Lewis, einst selbst Atheist, hat im Glauben Halt gefunden nach seinen Fronttraumata im Ersten Weltkrieg. Freud sieht darin nur ein zwangsneurotisches Verhalten. Ein Gipfeltreffen zweier unterschiedlicher Denker, die ihre Standpunkte leidenschaftlich verteidigen. Und einander dabei nicht näher kommen.
Der Analytiker, seine Tochter und ihre Bindungsstörung zu ihm
Ob dieses Treffen wirklich stattgefunden hat, ist nicht bekannt. An jenem 3. September war tatsächlich ein Professor zu Gast bei Freud. Ob es Lewis war, so heißt es auch im Abspann, werden wir nie erfahren. Dennoch hat Armand Nicholi in seinem Buch „The Question of God“ die Zeitgenossen spekulativ aufeinander prallen lassen. Und Mark St. Germain hat daraus das Theaterstück „Freud’s Last Session“ destilliert, auf dem nun auch dieser Film basiert, dessen Drehbuch St. Germain gemeinsam mit Regisseur Matt Brown erarbeitet hat.
Ein Kammerspiel, überwiegend ein Zwei-Personen-Stück, das Freuds Domizil nur selten verlässt. Angereichert von ein paar unbeholfenen Rückblenden, die die Kindheit der beiden schlaglichtartig beleuchtet. Und einer Nebenhandlung, wie Freuds Tochter Anna sich um ihren Vater sorgt, wie der sie aber in die Universität schickt, wo sie Vorlesungen halten muss. Nur um sie dort anzurufen und zu klagen, dass der Arzt ihm kein Morphium besorgen kann, das seine Schmerzen lindern könnte. Weshalb sie es besorgen – und ihren Studenten den Rücken kehren muss.
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Gespielt wird Anna Freud von der Deutschen Liv Lisa Fries, die nach ihrer großartigen Leistung in Andreas Dresens Widerstandsdrama „In Liebe, Eure Hilde“ gleich noch einmal in diesen Kriegszeiten zu sehen ist. Eine undankbare Nebenrolle, nur dadurch aufgewertet, dass Anna ihrem Vater endlich ihre lesbische Liebe zu Freuds ehemaliger Patientin Jodi Balfour (Dorothy Tiffany Burlingham) offenbaren will.
Das letzte Streitgespräch vor Freuds baldigem Tod
Aber auch ihre ungesunde, da allzu enge Bindung zum Vater wird thematisiert. Die, so kritisiert Lewis, würde Freud bei anderen eine Bindungsstörung nennen. Doch in seinem eigenen Fall will er nichts davon hören. Ist er doch ganz abhängig von seiner Tochter. Die sich in Wien auch statt seiner von der Gestapo verhaften ließ. Weshalb ihn auch Gewissensbisse plagen.
Freud steht derzeit hoch im filmischen Kurs. In der Netflix-Serie „Freud“ hat der noch junge Psychoanalytiker einen Mordfall im Wien der 1880er-Jahre untersucht. Nun, zu seinem 85. Todestag, ist Sigmund Freud in seinen letzten Tagen zu sehen. Doch „Freud – Jenseits des Glaubens“ ist ein reiner Thesenfilm. Und kreuzbrav abgefilmtes, redelastiges Theater. Das ganz vom Wissen darüber lebt, dass Freud nur 20 Tage später seinem Krebsleiden mit einer Überdosis Morphium ein Ende setzte. Und er hier seinen letzten Gast empfängt. Eine Art allerletzte Manifestation seiner Überzeugung.
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Der Film ist vor allem ein Mit- und Gegeneinander seiner beiden Hauptdarsteller. Matthew Goode kennt man vor allem als romantischen Liebhaber aus den Serien „The Crown“ und „Downton Abbey“, aber auch aus Historienfilmen wie „Imitation Game“, ebenfalls ein Kriegsdrama. Wie sein junger Oxford-Professor gegen den alten Freud, hat auch er es nicht leicht gegen seinen Widerpart, den Altstar Anthony Hopkins.
Ein Musterbeispiel an Streitkultur, die derzeit verloren zu gehen droht
Der zweifache Oscar-Preisträger und mittlerweile 86-Jährige hat schon so manche historische Größe gegeben, von Richard Nixon über Pablo Picasso, Alfred Hitchcock und Papst Benedikt bis zu Adolf Hitler selbst. Ein Mann fürs Übergroße. Und auch seinen Freud füllt er gewichtig aus, mit ein paar Manierismen, die Matt Brown nicht zügeln konnte oder wollte. Brown hat 2015 mit „Die Poesie des Unendlichen“ schon mal ein ähnliches Drama geschaffen, damals über den bahnbrechenden indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan und dessen Freundschaft zu seinem Mentor, Professor G. H. Hardy. Ein Generationenduell, wie auch hier.
Und doch: Bei all den drängenden Nachrichten aus dem Radio und den Sorgen der Engländer, deren Premier an diesem Tag ein Ultimatum an Hitler stellt und andernfalls mit Krieg droht, scheinen die Fragen, um die die beiden Geistesgrößen hier ringen, zweitrangig. Und die einzige, die an diesem Tag in diesem Haus einen Sieg erringt, wird Tochter Anna sein. Dennoch hat dieser Film seine Momente. Und ihr Diskurs ist ein Musterbeispiel für genau jene Streitkultur, die derzeit verloren zu gehen droht. Und bei der man trotz völlig gegenseitiger Standpunkte den anderen immer ernst nimmt. Und nie persönlich angreift.
Drama, USA/GB/IR 2023, 105 min., von Matt Browne, mit Anthony Hopkins, Matthew Good, Liv Lisa Fries, Dorothy Tiffany Burlingham