Berlin. Nach langer Krankheit starb der Regisseur von „Good Bye, Lenin!“ und „Das Leben ist eine Baustelle“. Bis zuletzt hat er noch gedreht.
Er war ein großer Regisseur des deutschen Films. Auch wenn er nur wenige Filme gemacht hat. Und immer Jahre für sie brauchte. Weil Wolfgang Becker einfach ein Perfektionist war. Aber deshalb waren die Filme so gut. „Das Leben ist eine Baustelle“, der 1997 ein Wendepunkt des deutschen Films war. Und dann „Good Bye, Lenin!“, die liebevolle Komödie über die ironische Wiederbelebung der DDR, zumindest auf ein paar Quadratmetern, die seinen Hauptdarsteller Daniel Brühl zu einem Weltstar machte.
Nun ist Wolfgang Becker am Donnerstag in Berlin gestorben, wie seine Produktionsfirma X Filme am Freitag bekannt gab. Im Juni hatte er noch seinen 70. Geburtstag gefeiert – und auch die Tatsache, dass er dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen ist. Denn Becker war schwer an Krebs erkrankt. Und lange bangte schon um sein Leben.
Aber dann hat er sogar noch einen neuen Film gedreht, „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“, wieder ein großes Berlin-Projekt. Nach Maxim Leos gleichnamigem Roman, mit Charly Hübner in der Hauptrolle als jenem Journalisten, der zum 30. Jahrestag des Mauerfalls von einem Journalisten zum Drahtzieher der größten Massenflucht der DDR stilisiert wird. Was er nicht ist, aber auch nicht geraderücken kann. Ebenfalls beim Dreh mit dabei: seine Stars von früher, Christiane Paul, Daniel Brühl und Jürgen Vogel. Sie alle ahnten wohl, dass es sein letzter Film sein würde.
Sein letzter Film, gerade abgedreht, wird nun zum Vermächtnis
Erst in diesem Herbst hat er gedreht. Hat wieder gedreht. Was lange kaum möglich schien. Umso bestürzter ist sein Freundeskreis, sind Tom Tykwer, Stefan Arndt und Dani Levy, mit denen gemeinsam Becker die Produktionsfirma X Filme gegründet und zu einem der erfolgreichsten deutschen Filmunternehmen aufgebaut hat.
Mehr zum Thema: So entstand der Film „Das Leben ist eine Baustelle“
Becker, 1954 im sauerländischen Hemer geboren, studierte zunächst Germanistik, Geschichte und Amerikanistik an der Freien Universität Berlin, bevor er zur Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) wechselte. Gleich sein Abschlussfilm „Schmetterlinge“ gewann 1988 nicht nur den Preis des Ministerpräsidenten beim Nachwuchsfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken, er erntete auch gleich internationale Anerkennung, gewann den Goldenen Leoparden, den Hauptpreis des Filmfestivals von Locarno, und den Auslands-Studenten-Oscar.
Mit einem Film raus aus der deutschen Behäbigkeit und Wurschteligkeit
Es folgte eine legendäre „Tatort“-Folge („Blutwurstwalzer“) und die ebenfalls preisgekrönten „Kinderspiele“. Und dann tat er sich 1994, vor 30 Jahren, mit seinen Regiekollegen Dani Levy und Tom Tykwer sowie dem Filmproduzenten Stefan Arndt zusammen, um, ein bisschen wie einst „United Artists“ in Hollywood, ein Creative Pool zu gründen, das Film anders denken und produzieren wollte. Und mit „Das Leben ist eine Baustelle“ gelang ihm dann 1997 gleich der erste Erfolgsfilm dieser Produktionsfirma. Das den Umbruch der gerade erst wiedervereinigten Hauptstadt wörtlich und in den Titel nahm. Was auch zum Aufbruch des deutschen Films wurde, raus aus der heimischen Wurschteligkeit und Behäbigkeit mit den immergleichen Beziehungskomödien.
Die „Baustelle“ orientierte sich eher am New British Cinema und zeigte, dass sozialkritische Stoffe auch hierzulande komödiantisch und doch ernst aufgenommen werden konnte. Nicht erst Tykwers „Lola rennt“ zwei Jahre später, wie immer wieder kolportiert wird, sondern schon dieser Film setzte neue Weichen, gemäß des launig von Becker erdachten Werbeslogans zu diesem Film: „Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära“. Womit auch die Trägheit der Kohl-Jahre überwunden werden sollte.
Mehr zum Thema: So entstand der Film „Good Bye, Lenin!“
Sein Meisterwerk wurde dann aber „Good Bye, Lenin!“, diese wunderbar leichtfüßig und doch tiefgründige Komödie über eine Mutter (Katrin Sass), die in der DDR ins Koma fällt. Und im wiedervereinigten Berlin erwacht. Was ihr wegen ihres schwachen Herzens nicht zugemutet werden kann, weshalb ihr Sohn (Brühl) liebevoll die gerade untergegangene DDR wiederauferstanden lässt. Und die eben endlich abgestreiften alten Möbel wieder vom Sperrmüll sucht. Ja sogar die Nachrichten der längst eingestellten „Aktuellen Kamera“ imitiert. Und damit eine DDR schafft, wie die Sozialisten sie erträumt, aber nie verwirklicht haben.
Keine platte Ostalgie-Komödie, sondern großes Welttheater. Dabei war beim Dreh so ziemlich alles schief gegangen, was nur schief gehen konnte. Und auch bei der Uraufführung des Films auf der Berlinale 2003 fiel „Lenin“ bei der Presse erst mal durch. Was Becker ihr lange nicht verzeihen wollte. Die „Berliner Morgenpost“ hatte er aber nicht gelesen. Denn sie feierte den Film schon früh. Wie später auch das Publikum.
Ein Film, an den erst mal keiner glaubte und der dann zum Triumph wurde
Mit sechs Millionen Besuchern wurde „Lenin!“ zum erfolgreichsten deutschen Film des Jahres. Und wurde auch, trotz des deutsch-deutschen Themas, auch im Ausland verstanden. Und gefeiert. Und so gewann der Film nicht nur allein neun Lolas beim Deutschen Filmpreis, sondern auch einen französischen César, einen spanischen Goya und sechs Europäische Filmpreise. Und war auch für einen Golden Globe nominiert.
Ein Riesenerfolg. Der Becker aber auch lähmte. Weil er Angst hatte, nicht mehr daran anknüpfen zu können. Viele Jahre hat er deshalb verstreichen lassen, in denen nur ein Kurzfilm („Bolero“, 2005) und ein Beitrag zum Kompilationsfilm „Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation“ (2009) folgte. Als könne er nichts Großes mehr nachliefern. Aber dann kam, ein Jahrdutzend nach „Lenin!“, „Ich und Kaminski“, die Verfilmung von Daniel Kehlmanns gleichnamigen Roman, wieder mit Brühl und einem internationalen Cast. Becker konnte noch. Und hat es allen gezeigt.
Dann der Schock, als seine Krebserkrankung bekannt wurde. Als er im April vergangenen Jahres in der Filmreihe der Berliner Morgenpost im „Zoo Palast“, „Hauptrolle Berlin“, noch mal „Das Leben ist eine Baustelle“ vorstellte, frisch restauriert, da war man etwas betroffen. Weil der stets etwas korpulente und raumgreifende Becker abgemagert war und nur noch ein Schatten seiner selbst schien.
Alle Weggefährten, Tykwer, Arndt und Levy, kamen noch einmal zusammen, um mit ihm zu feiern. Und ihn zu ehren. Dem folgte dann auch noch die 20-Jahr-Feier von „Good Bye, Lenin!“ im September desselben Jahres in der Kulturbrauerei. Da hatte Becker schon wieder etwas zugenommen. Spielte selbst Gitarre auf dem anschließenden Fest. Und schien wieder der Alte. Bald auch die frohe Kunde: Er dreht auch wieder.
Sein letztes Projekt „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ hat er noch abdrehen können. Es hat ihn wohl auch am Leben erhalten. Jetzt aber wird es zu seinem Testament. Die letzte Klappe fiel erst am 20. November. Den Endschnitt wird wohl Achim von Borries, einer der drei „Babylon Berlin“-Regisseure, vollenden, der beim Dreh schon mal eingesprungen war, wenn Becker sich zu schwach fühlte. Er wird es zu seinen Ehren zu Ende bringen.
Wie seine Familie am Freitag bekannt gab, ist er am Donnerstag verstorben: nach langer Krankheit, aber doch überraschend. Er hinterlässt seine Ehefrau Susanne und seine Tochter Rieke. Und eine bestürzte deutsche Filmwelt. „„Good Bye, Wolfgang! Du einzigartiger Freund und Weggefährte”, schreiben seine X-Genossen Arndt, Levy und Tywker in einem gemeinsamen Statement. „Deine Liebe, Kraft und Kreativität wird uns unendlich fehlen.“