Berlin. „Der König der Löwen“ hat Generationen gerührt. Erst als Trickfilm, dann auch als Realfilm. Jetzt kommt mit „Mufasa“ die Vorgeschichte.
Sascha Rettig
Nur Bruchteile einer Sekunde sind es, die über alles entscheiden. Um nicht weniger als Leben oder Sterben geht es schließlich in dieser Situation. Denn: Der Löwenkönig Mufasa hängt an einer Klippe und braucht die rettende Tatze seines sinistren Bruders Scar, um nicht in die Tiefe und den Tod zu stürzen.
Auch Erdmännchen Timon und Warzenschwein Pumbaa sind wieder dabei
Dieser Moment war eine Schlüsselszene in Disneys Zeichentrick-Klassiker „Der König der Löwen“ von 1994 – mit dramatischem Ausgang. In Jon Favreaus effektaufwändigem Live-Action-Remake, das die Erfolgsgeschichte aus dem Tierreich der Savanne 2019 mit einem Einspielergebnis von 1,6 Milliarden Dollar neu befeuerte, war das nicht anders. Und nun wird dieser Augenblick in „Mufasa“, dem Realfilm-Nachfolger, sogar gleich zweimal zitiert: Diesmal wird Mufasa die Tatze gereicht und die Sache geht gut aus.
Denn der neue Film von Regisseur Barry Jenkins führt zurück in die Vergangenheit und damit in eine Zeit, als Mufasa und Taka, wie Scar einst hieß, sich kennenlernten und ihre Beziehung eine völlig andere war. Der Affe Rafiki erzählt diese Geschichte in einer Rahmenhandlung nicht nur Mufasas Enkel, dem kleinen Sohn Simbas. Auch das Erdmännchen Timon und das Warzenschwein Pumbaa, die Sidekick-Stars aus „Der König der Löwen“, sind als Zuhörer mit dem Hang zur Quatschmacherei dabei.
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Diese Vorgeschichte, mit der Jenkins den „König der Löwen“-Kosmos erweitert, hat eine Parallele zu „Wicked“, dem Musical-Prequel zu „Der Zauberer von Oz“, das gerade die Kinocharts erstürmt. Auch in „Mufasa“ wird ein Gegenspieler durch einen Rückblick weg vom stereotypen Bösen in ein ganz anderes Licht gerückt. Denn früher war Taka alles andere als böse: Als der kleine Mufasa anfangs nach einer tosenden Flut seinen Eltern entrissen und weit weg gespült wird, kommt ihm der Löwenjunge am Fluss zur Hilfe.
Die Tatzenspuren, denen „Mufasa“ folgt, sind enorm
Gegen den Willen des Vaters wird Mufasa danach von Takas Mutter aufgenommen und zum Bruder, den Taka immer wollte. Einige Zeit später, als es zu einer tödlichen Auseinandersetzung mit einer Gruppe weißer Löwen kommt, werden die beiden Heranwachsenden auf eine gefährliche Flucht geschickt, bei der ihnen die rachedurstigen Widersacher in verschneiten Bergen dicht auf den Fersen sind.
Regie bei dieser Odyssee führte Barry Jenkins, der sich in seinen vorherigen Werken mit Queerness, Rassismus und afro-amerikanischer Geschichte beschäftigte und dessen Drama „Moonlight“ 2017 mit dem Oscar prämiert wurde. Bei seinem Ausflug ins Blockbuster-Kino geht er nun jedoch keine wirklich überraschenden Wege: „Mufasa“ fügt sich in vielerlei Hinsicht nahtlos in den kommerziellen Löwen-Kosmos ein. Die Produktionskosten sind schließlich hoch und auch die Tatzenspuren, denen „Mufasa“ folgt, sind groß – von den früheren Kinokassenschlagern bis zum Musical.
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Nachdem sich die erste Realverfilmung fast mit einer 1:1-Kopie der Zeichentrickvorlage begnügte, ist die Geschichte nun zwar neu. Die Themen, um die sie kreist, wirken jedoch vertraut: Es geht wieder um Verrat und Loyalität, Blutsbande und Wahlfamilie, Freundschaft und die Berufung, die einen erreicht. Auch „Mufasa“ versucht, seine kreativen Schwächen mit technischer Meisterschaft wettzumachen – und tatsächlich gibt es bei diesem zweiten fotorealistischen Afrika-Ausflug aus dem Rechner einiges zum Staunen. Generell steckt in den Bildern mit unterschiedlichsten Landschaften und all den Tieren, die sie durchkreuzen, eine unglaubliche Detailfülle bis in die letzte Fellspitze.
Schönes Prequel, aber ein künftiger Klassiker sieht anders aus
Dazu liefert „Mufasa“ die obligatorische Savannen-Romantik mit untergehender Sonne und afrikanischen Rhythmen. Den schwindelerregenden Actioneinschüben folgt man mit rasanten Kamerafahrten, der Showdown-Kampf ist wuchtig, wenn auch wie im gesamten Film ganz sauber kein Blut fließt. Immer wieder schwillt die Dramatik an. Das dicke Pathos wird durch die Musik noch dicker.
Natürlich brechen die Tiere dabei auch wieder in Gesang aus: Mit Gute-Laune-Songs wird die Stimmung mal aufgehellt, mal mit Balladen in Gefühlen geschwelgt. Ewige Hits wie Elton Johns „Can You Feel the Love Tonight“ und „Circle of Life“ aus „Der König der Löwen“, so kitschig und totgenudelt sie inzwischen sein mögen, sind aber icht in Sicht. Schon beim Verlassen des Kinos hat man die Songs fast vergessen. Wenn Timon und Pumbaa in einer Szene statt „Hakuna Matata“ ein „Hakuna Mufasa“ anstimmen, ist das symptomatisch für den ganzen Film. der ist zwar unterhaltsam. Aber ob man hier die Geburt eines künftigen Klassikers erlebt? Das scheint eher fraglich.
Animation USA 2024, 118 min., von Barry Jenkins