Washington. In den USA sterben jährlich Zehntausende an Heroin und anderen Opiaten. Hauptverantwortlich soll der Pharma-Hersteller Purdue sein.

Philantropen geben. Renommierte Kultur-Einrichtungen nehmen. Das ist das Prinzip des Mäzenatentums, in dem sich die vom „Forbes“-Magazin auf 13 Milliarden Dollar Privatvermögen taxierte Sackler-Familie sicher bewegt hat. Dreistellige Millionen-Beträge flossen über Jahrzehnte aus den Schatullen der Besitzer des Pharmakonzerns Purdue aus Stamford im US-Bundesstaat Connecticut. Dort wird der Schmerzkiller Oxycontin hergestellt, der mit der tödlichen Opioid-Tragödie in den USA in Verbindung gebracht wird.

Empfänger waren die besten ­Adressen, wenn es um erlesene Kunst geht – wie das Smithsonian in Washington, das Metropolitan Museum sowie das Guggenheim in New York oder die Tate Modern Gallery in London. Vorbei. Nachdem erste Kultur-Tempel die Annahme weiterer Spenden verweigerten, die von einigen Kritikern als „Blutgeld“ getauft wurden, haben die Sacklers ihr Füllhorn abgedichtet. Vielleicht für immer.

Schwere Vorwürfe gegen Perdue

Denn Purdue sieht sich rund 2.000 Klagen aus mehr als 30 Bundesstaaten und 500 Landkreisen ausgesetzt. Die Firma, die selbst alle Vorwürfe zurückweist, wird neben wenigen anderen Herstellern und Vertreibern als Hauptverursacher der Drogen-Epidemie in den USA identifiziert. Sie soll die Risiken des Medikaments vertuscht und es auch dann noch aggressiv an Ärzte und Patienten gebracht haben, als die landesweit grassierende Opioid-Krise bereits die US-Regierung zur Verzweiflung brachte.

Rund 48.000 Menschen starben 2017 nach offiziellen Zahlen an verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln – das sind rund 130 am Tag. Der Wirkstoff Oxycodon macht in sehr kurzer Zeit abhängig. Er hat nach Angaben staatlicher Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) Ähnlichkeit mit Heroin, wenn man die Pille pulverisiert und schnieft oder in Flüssigkeit auflöst und injiziert.

Jetzt geht es gegen die Sacklers persönlich

Bereits 2007 bekannten sich drei Manager von Purdue schuldig, das Suchtpotenzial von Oxycontin verharmlost zu haben. Strafe: 630 Millionen Dollar. Doch die Sacklers selbst blieben damals unbehelligt. Diesmal sollen der frühere Konzernchef Richard Sackler (74) und sieben weitere Familienmitglieder in Anklagen persönlich zur Rechenschaft gezogen werden.

„Acht Menschen in einer einzelnen Familie haben Entscheidungen getroffen, die einen großen Teil der Opioid-Epidemie verursacht haben“, meinte Maura Healey, die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates Massachusetts. Gemeint sind Kathe, Mortimer, ­Richard, Jonathan, Ilene, Theresa, ­Beverly und David Sackler. Sie sollen mit massivem Marketing und mit Vergünstigungen Ärzte auch nach dem Vergleich 2007 dazu gebracht haben, „gefährliche Medikamente“ immer mehr Menschen in immer höheren Dosierungen zu verabreichen.

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Opioid-Krise in den USA- Feuerwachen als Notanker

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    Fast vier Milliarden Dollar Oxycontin-Gewinne

    Dabei sei die Gefahr der Abhängigkeit vertuscht worden, obwohl die Risiken bekannt waren. Für Massachusetts macht Healey diese Rechnung auf: Zwischen 2007 und 2018 hätten Purdue-Vertriebsleute Ärzten und Apothekern des kleinen Bundesstaates 150.000 Besuche abgestattet. Konsequenz: 70 Millionen Oxycontin-Rezepte und 500 Millionen Dollar Ertrag für Purdue.

    Die Ermittler glauben, anhand von E-Mails und anderen Unterlagen nachweisen zu können, dass oberste Sackler-Vertreter fortlaufend Druck auf Purdue und auf Vertriebsleute ausgeübt haben, unbedingt noch mehr Pillen zu verkaufen. Offenbar mit Erfolg. Zwischen 2008 und 2016 sollen die Sacklers knapp vier Milliarden Dollar aus den Oxycontin-Gewinnen auf ihre Konten umgeleitet haben, so die New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James, die ebenfalls klagt.

    Drogen-Kartelle reagieren – mit billigem Heroin

    Dabei seien – am US-Fiskus vorbei – auch Off-Shore-Banken zum Einsatz gekommen. Insgesamt sollen die Sacklers seit der Markteinführung von Oxycontin 1996 bis heute 35 Milliarden Dollar Umsatz mit der Arznei gemacht haben. Die Kehrseite: Tausende Amerikaner – bei manchen reichte ein Fußbruch, ein gezogener Zahn, eine kleine Operation – gerieten durch die ihnen verschriebenen Schmerzmedikamente mit Oxycodon in kurzer Zeit in extreme Abhängigkeit.

    Darauf reagierten sogar mexikanische Drogen-Kartelle. Sie verbilligten Heroin, das ähnlich wirkt. „Tausende Amerikaner, die wahrscheinlich niemals in die Drogen-Szene abgerutscht wären“, sagte ein Internist in Washington unserer Zeitung, „hingen plötzlich an der Nadel. Oft mit der Folge von tödlichen Überdosierungen.“

    „Wir haben die Opiod-Krise nicht verursacht“

    Die Sacklers bezeichnen die Vorwürfe in den Anklagen „als nachweislich falsch“ und „aus dem Kontext gerissen“. Purdue sieht an sich zu Unrecht ein Exempel statuiert. Man sei ein Hersteller unter vielen im Schmerzmittelbereich, heißt es in vielen Stellungnahmen. Und: „Wir haben die Opiod-Krise nicht verursacht.“ Eine direkte Anfrage unserer Zeitung ließ Purdue-Sprecher Robert Joseph­son bisher unbeantwortet.

    Dagegen verweisen die Staatsan­wälte in öffentlich gewordenen Anklageschriften darauf, wie zynisch vor allem Richard Sackler auf die Opioid-Krise reagiert habe. Er bezeichnete Abhängige als „rücksichtslose Kriminelle“, die kein Mitgefühl verdienten. Als ihm mitgeteilt wurde, dass in einem Bundesstaat 59 Menschen an einer Überdosis Oxycontin gestorben waren, soll er geschrieben haben: „Das ist nicht so schlecht. Es hätte viel schlimmer sein können.“

    Auch an der Krise wollte Purdue verdienen

    Wie ruchlos die Sacklers vorgegangen sein sollen, ergibt sich laut der Justiz in New York aus Details wie dem „Project Tango“. Danach bemühten sich die Sacklers ab 2014 darum, aus der Opioid-Tragödie abermals Profit zu ziehen. Es sollte ein Entzugsmittel entwickelt werden, das die Suchtsymptome von Oxycontin behebt. Die Idee wurde aber nicht realisiert.

    Auch dafür interessiert sich der US-Kongress.

    Dort bereiten die Demokraten Anhörungen vor. Bei dem Pharmakonzern Purdue wurden interne Geschäftspapiere angefordert. Was die Sacklers alarmiert. Sie wollen keine Öffentlichkeit. Und erst recht keine Prozesse. Indiz dafür ist ein gerade abgeschlossener Vergleich. Danach zahlen Purdue und die Sacklers, obwohl sie offiziell alle Schuld von sich weisen, allein dem Bundesstaat Oklahoma rund 270 Millionen Dollar, um die Folgen des Oxycontin-Desasters abzufedern. Mit dem Geld wird unter anderem ein Zentrum für Studien zu Drogen­abhängigkeit und Therapie finanziert.

    Im Gegenzug fällt der für Ende Mai geplante Prozess aus. Im Oktober sollen in Ohio aber gebündelt 1.600 Verfahren abgeurteilt werden. Weil Vergleiche in der Dimension von Oklahoma Purdues Existenz gefährden könnten, erwägt das Unternehmen laut US-Medien in die kontrollierte Insolvenz zu gehen.

    (Dirk Hautkapp)