Hamburg. In der Abendblatt-Reihe “Die Woche mit Lanz“ blickt Chefredakteur Lars Haider auf die wichtigste politische Talksendung zurück.

Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo) und wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen?

Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.

Markus Lanz hätte gerne Putin-Versteher Schröder zu Gast

22. Februar (Gäste: SPD-Politiker Kevin Kühnert, Journalist Robin Alexander, Autorin Gabriele Krone-Schmalz und Politologin Gwendolyn Sasse.) Es ist gut 24 Stunden her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Separatistengebiete in Donez und Luhansk anerkannt und eine „wahnwitzige Rede“ gehalten hat, in der er die Souveränität der Ukraine als Ganzes infrage stellt. In dieser Situation würde Markus Lanz gern mit Gerhard Schröder sprechen, einem der engsten Vertrauten Putins in Deutschland.

Er steht seit Langem auf der Wunschliste der Redaktion, Lanz hat dem Altkanzler ausrichten lassen, dass er eine Sendung auch nur mit ihm allein machen würde. Doch die Antwort ist immer dieselbe: Schröder will nicht, anders als früher sind ihm „Bild, BamS und Glotze“ egal, er hat eigene Möglichkeiten, sich zu Wort zu melden, wenn er es will, zum Beispiel seinen Podcast „Die Agenda“. Und so scheint es, als müsse Markus Lanz zu Beginn der nächsten, großen Weltkrise, die scheinbar nahtlos die Corona-Pandemie ablöst, ohne einen Putin-Versteher auskommen.

Doch das täuscht: Die Rolle übernimmt die Autorin Gabriele Krone-Schmalz, die von Anfang an dafür wirbt, sich den Konflikt nicht nur aus deutscher oder westlicher Sicht, sondern mit den Augen Putins anzusehen. Was beim Journalisten Robin Alexander für Unverständnis sorgt („Wie können Sie das rechtfertigen?“) und Markus Lanz beinahe wütend macht. Auszug aus einem Dialog mit Krone-Schmalz:

Markus Lanz: „Sie verteidigen gerade Wladimir Putin“

Lanz: „Man kann doch jetzt nicht so tun, als hätte man es hier mit jemandem zu tun, der mit alledem nichts zu hat, und immer nur dann eingreift, wenn es darum geht, arme Russen in irgendwelchen abtrünnigen Gebieten zu verteidigen. Das ist wirklich albern.“

Krone-Schmalz: „Niemand von uns sitzt hier und verteidigt, was Putin macht.“

Lanz: „Doch, Sie verteidigen gerade Wladimir Putin.“

Krone-Schmalz: „Nein, um Himmels Willen, ich bin nur für präzise Sachen.“ Und später: „Und wenn Sie mich schlachten, ich finde es falsch, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht.“

Beitrag von Kühnert trägt nicht zur Beruhigung bei

Es wird so emotional, dass der politische Gast des Tages in den ersten 20 Minuten nicht zu Wort kommt. Und als SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in die Diskussion einsteigt, beruhigt das die Gemüter auch nicht. Es geht um die Rolle von, siehe oben, Gerhard Schröder und der SPD bei Bau und Planung von Nord Stream 2.

„Es gibt eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin (gemeint ist Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern), die eine hochdubiose Stiftung aufmacht, mit Gazprom-Geld und Gazprom-Personal“, sagt Robin Alexander, und all das nur, um Sanktionen der USA zu umgehen und eine Gaspipeline zu bauen, „die Europa gespalten hat“, so Gwendolyn Sasse.

„Was machen wir nun?“, will Lanz von der Politologin wissen. „Ich wünschte, es gäbe eine einfache Antwort auf diese Frage“, sagte sie.

„Die Ukraine hat ihre Atomwaffen abgegeben"

23. Februar (Gäste: die Politiker Gregor Gysi, Die Linke, und Alexander Graf Lambsdorff, FDP.) Es ist riskant, eine politische Talkshow für diesen Tag vorher aufzuzeichnen, aber Markus Lanz bleibt nichts anderes übrig.

Zu den Zeiten, in denen das ZDF die Sendung ausstrahlt, würde der Moderator keine Gäste live ins Studio bekommen, schon gar nicht Politiker aus Berlin. Also sprechen Gregor Gysi von den Linken und Alexander Graf Lambsdorff von der FDP um Mitternacht über die Krise in der Ukraine, die schon in vier Stunden ein Krieg sein wird, und vieles von dem, was Putin-Erklärer Gysi sagt, ad absurdum führt.

Lanz schätzt den Politiker, gerade weil er so pointiert spricht, wie er spricht, aber angesichts dessen offensichtlichen Verständnisses für Kriegstreiber Putin schafft er es diesmal kaum, Gysi nicht ins Wort zu fallen. Den entscheidenden Punkt macht in den nur 45 Minuten sowieso Graf Lambsdorff, als er darauf hinweist, dass die Ukraine 1994 freiwillig auf seine Atomwaffen verzichtet und im Gegenzug dafür die Garantie von Russland erhalten hat, die Grenzen des Landes zu respektieren, gar zu schützen.

„Die Ukraine hat ihre Atomwaffen abgegeben und ist jetzt verwundbar, angreifbar, wird gerade zerrissen von russischen Truppen im Osten und wird bedroht an allen Grenzen. Was sendet das für ein Signal an andere Staaten auf der Welt im Hinblick auf Atomwaffen?“, fragt der FDP-Politiker, und gibt die Antwort gleich selbst: „Es ist ein fatales Signal. Es wird jetzt mehr Staatenlenker geben, die sagen: Schaut euch die Ukraine an. Niemals werden wir auf Atomwaffen verzichten, wir werden dagegen alles dafür tun, welche zu bekommen.“

Markus Lanz lud ungewöhnlich viele Gäste ein

24. Februar (Gäste: die Politiker Robert Habeck, Grüne, Norbert Röttgen, CDU, sowie Gerhart Baum, FDP, Diplomat Andrij Melnyk, die Journalistinnen Alice Bota und Eva Quadbeck, Autorin Kateryna Mishchenko.) Der 24. Februar ist angesichts der Bilder und Nachrichten vom Krieg in der Ukraine der Tag der Sprachlosigkeit. Markus Lanz hat so viele Gäste wie selten eingeladen, vier sitzen im Studio in Hamburg, drei werden nacheinander zugeschaltet, es ist eine Sondersendung, 90 Minuten lang.

Und trotzdem sind es die Pausen, die auffallen, Momente des Schweigens, die es normalerweise gerade in dieser Talkshow nicht so oft gibt. Niemand weiß, wie es weitergeht, auch Vizekanzler Robert Habeck nicht, dessen ehrliche Aussagen Angst machen können, etwa, wenn er über die „Irrationalität Wladimir Putins“ oder von einem Schreiben der amerikanischen Handelsministerin spricht, aus dem er schon vor dem Angriff ziemlich genau erfahren hat, was Russland plant.

„Was erwarten Sie für heute Nacht, für die nächsten Tage?“, will Lanz von Habeck wissen, und seine Worte kommen nach einer langen Pause, stammelnd: „Ich hoffe, dass … Krieg ist natürlich immer fürchterlich und wird Menschenleben kosten und Flucht verursachen und viele Menschen ihrer Heimat berauben. Aber ich hoffe eben nicht zu viele. Was ich für heute Nacht erwarte, kann ich ihnen nicht sagen, sondern würde ich gern später einmal reflektieren.“ Kateryna Mishchenko hätte gern mehr vom Wirtschaftsminister gewusst.

Die Autorin wird direkt nach Habeck aus Kiew zugeschaltet, sie sagt einen der eindrucksvollsten Sätze der Sendung: „Heute Morgen haben viele wieder an den Zweiten Weltkrieg gedacht. Ich bin selbst von Sirenen aufgewacht, und ich konnte nicht glauben, dass das passiert. Und ich konnte auch nicht wirklich verstehen, was wir jetzt tun müssen, was die Sirenen heißen und was uns erwartet.“

Kurz nach diesen Worten bricht die Verbindung nach Kiew ab, es wird der ukra­inische Botschafter Andrij Melnyk aus Berlin zugeschaltet, der in der vergangenen Woche schon bei Lanz zu Gast war und damals von ihm wegen seiner Kriegsrhetorik in die Mangel genommen wurde, zu Unrecht, wie man jetzt weiß.

Lanz: Botschafter aus Berlin äußert sich verständnislos

„Ich muss Ihnen sagen, dass ich schon viele Jahre nicht mehr geweint habe. Heute war dieser Tag. Wir haben geweint, nicht nur wegen dieses perfiden Vernichtungskriegs, der gegen die Ukraine gestartet wurde. Ich habe tatsächlich heute geweint wegen der Kälte und Gleichgültigkeit, die mir im Laufe des Tages in Berlin entgegengeschlagen ist. Ich habe mich mit vielen Mitgliedern der Ampel-Koalition getroffen, und jede unsere Bitten, uns zu helfen, wurde abgeschmettert. Das ist sehr traurig. Ich kann nicht verstehen, wie man so kaltherzig und stur bleiben kann.“ Die Ukraine fühle sich wie ein „Opferlamm, das vor laufenden Kameras geschlachtet wird“.

Kann man da widersprechen? Norbert Röttgen tut es nicht, im Gegenteil: „Meine Einschätzung ist, dass wir abstrakt viel entschlossener reden: volle Solidarität, Zeitenwende, historischer Bruch, Krieg, Angriffskrieg. Aber wenn es dann konkret wird, was es für uns an Veränderungen bedeutet, dann stelle ich bis zu dieser Minute in den unterschiedlichen Bereichen fest, dass wir nicht in den Taten nachvollziehen, was wir in den Worten beschreiben. Und das ist total gefährlich.“