Hamburg. In der neuen Abendblatt-Reihe “Die Woche mit Markus Lanz“ blickt Chefredakteur Lars Haider auf die wichtigste politische Talksendung zurück.
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen, zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo) und wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet.
Was ist da passiert? Wie hat Markus Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („Er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („Endlich fragt mal einer nach!“) zu machen?
Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen und sieht sich ein halbes Jahr lang jede Sendung an. Hier lesen Sie die Bilanz der vergangenen Tage:
Markus Lanz trifft auf Lars Klingbeil
8. Februar (Gäste: der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß, die Journalistin Claudia Kade und die Politologin Margarete Klein). Als Lars Klingbeil das letzte Mal bei Markus Lanz war und es für ihn anstrengend wurde – damals ging es um die Frage, ob Karl Lauterbach wirklich Bundesgesundheitsminister werden könnte, Kanzler Olaf Scholz hatte seine Entscheidung noch nicht getroffen –, sagte er, halb im Spaß, dass er sich überlegen würde, ob er noch einmal in die Sendung kommt.
Nun ist er wieder da, und es werden sicher weitere Auftritte folgen, weil die jungen Leute in der SPD Lanz trotz seiner kritischen Fragen schätzen und entschlossen sind, sich diesen zu stellen. Und weil sie wissen, dass sie über die Sendung und ihre Verbreitung im Internet genau die Wählerinnen und Wähler erreichen, die bei der Bundestagswahl im September 2021 für die FDP und die Grünen gestimmt haben.
Der Preis dafür ist diesmal ein Duell zwischen dem Moderator und dem Politiker um einen einzigen Begriff: Es geht um Nord Stream 2 und die Frage, warum es so schwierig ist, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mitzuteilen, dass die Gas-Pipeline auf dem Spiel steht, wenn seine Truppen in die Ukraine einmarschieren. Das hört sich, nachdem Lanz gefragt hat, warum denn niemand in der SPD „Nord Stream 2“ in den Mund nehmen würde, dann so an:
Klingbeil: „Ich kann gern Nord Stream 2 sagen, wenn Sie das so erfreut.“
Lanz: „Würden Sie auch den Satz sagen: Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, dann fließt durch Nord Stream 2 kein Gas?“
Klingbeil: „Wir können auch Wladimir Putin alles sagen, was wir vorhaben …“
Lanz: „Würden Sie den Satz sagen?“
Klingbeil: „Wir können uns ziemlich dumm in der Außenpolitik verhalten, aber ich bin dagegen, dass wir das tun.“
Lanz: „Das heißt, Biden ist dumm?“ (Der US-Präsident hatte bei einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit Olaf Scholz genau den geforderten Satz gesagt.)
Und etwas später:
Klingbeil: „Herr Lanz, jetzt führen wir eine innenpolitische Debatte in Deutschland über die Frage, ob ein Bundeskanzler einen Pullover im Flugzeug tragen darf und über die Frage, ob er Nord Stream 2 sagt …“
Lanz: „Nein, nein, nein, nein …“
Klingbeil: „… aber es geht darum, einen Krieg in der Mitte Europas zu verhindern.“
Lanz: „Joe Biden hat wörtlich gesagt: Wenn die einmarschieren, wird es kein Nord Stream 2 geben, das verspreche ich ihnen.“
Klingbeil: „Und Olaf Scholz hat gesagt, wir sind uns einig.“
Lanz: „Was heißt das? Dann sagen Sie es doch. Sie sagen es jetzt auch nicht.“
Klingbeil: „Herr Lanz, weil Sie jetzt unbedingt diesen Satz wollen, SPD-Vorsitzender sagt Nord Stream 2 …“
Lanz: „… was ist dran an diesem Satz, ich würde es gern verstehen?“
Klingbeil: „Herr Lanz, weil ich die feste Überzeugung habe, dass es nicht sinnvoll ist, Putin in unsere Karten gucken zu lassen …“
Lanz: „Wir sollten uns jetzt keine Märchen erzählen.“
Klingbeil: „Was verstehen Sie denn nicht an dem Satz, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen, ich frage mich das seit Tagen? Erklären Sie es mir!“
Lanz: „Was ist so schwierig an dem Satz: Wenn die Russen in die Ukraine einmarschieren, wird es kein Nord Stream 2 geben?“
Warum kommuniziert Olaf Scholz so wie er kommuniziert?
Darin versteckt sich eine übergeordnete Frage: Warum kommuniziert Bundeskanzler Olaf Scholz so, wie er kommuniziert, und schafft es selbst in einem von Lanz gelobten Interview mit dem US-Sender CNN nicht, sich zu Nord Stream 2 zu äußern, nachdem das Joe Biden ganz offen gemacht hat?
Die Antwort bleibt aus, Klingbeil spricht wie Scholz und fängt an, seinerseits Lanz zu befragen („Sie sind mir noch die Antwort schuldig, wo die SPD nicht klar ist“). Und der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß, den der Moderator als einen „kommenden Mann in der CDU“ angekündigt hat, kann einem fast leidtun, als der SPD-Vorsitzende seine Anmerkungen abkanzelt: „Das tun wir jetzt mal als krampfhaften Versuch ab, sich in der Opposition zurechtzufinden, das ist mir zu albern.“
Markus Lanz trifft auf Jörg Meuthen
9. Februar (Gäste: die neue Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, der ehemalige AfD-Politiker Jörg Meuthen, die Journalistin Nadine Lindner und Ökonom Prof. Clemens Fuest). Viel ist in den vergangenen Jahren darüber diskutiert worden, wie man mit Politikerinnen und Politikern der Alternative für Deutschland in Talkshows umgehen soll. Man kann sie gar nicht erst einladen, aber das ist einfach und wird journalistischen Ansprüche nicht gerecht.
Oder man macht es wie Markus Lanz, der mit dem ehemaligen Chef Jörg Meuthen nicht darüber spricht, warum er gerade aus der AfD ausgetreten, sondern, warum er so lange in der Partei Mitglied gewesen ist. Die Frage stellt sich insbesondere, wenn man mit Einspielfilmen belegen kann, dass Meuthen spätestens 2018 (!) endgültig wusste, mit wem er es da zu tun hatte in der AfD, die er doch eigentlich auf einen „bürgerlich-konservativen Kurs“ bringen wollte.
Es geht zum Beispiel um Andreas Kalbitz, einen Mann, „der über Jahre hinweg widerwärtige Sachen gesagt hat, und Sie sind mit ihm in einer Partei geblieben“, sagt Ricarda Lang, die neue Grünen-Vorsitzende. „Dass Sie jetzt ausgetreten sind, ist keine Frage von Rückgrat oder Anstand, sondern es liegt daran, dass Sie keine Machtperspektive mehr haben. Und diese Reinwascherei, nachdem Sie jahrelang Rechtsradikale in der Partei geduldet haben, nimmt ihnen niemand ab, Herr Meuthen.“
Markus Lanz lässt Ricarda Lang keine ausweichende Antwort durchgehen
Der wird böse: „Sie nicht, kümmern Sie sich mal um die gewaltaffinen Teile ihrer Partei“, sagt er, verfällt damit in den alten AfD-Duktus, wird aber sofort von Lanz gebremst: „Lass uns mal versuchen, sachlich zu bleiben, denn die Frage ist sehr berechtigt.“ Und am Ende der Sendung auch eindeutig geklärt …
Vorher hat Lanz auch bei Ricarda Lang, „der jüngsten Vorsitzenden in der Geschichte der deutschen Parteien“, eine ausweichende Antwort nicht durchgehen lassen. Die Frage dazu: „Befürworten Sie den Plan von Wirtschaftsminister Robert Habeck, Flüssiggaslieferungen aus den USA zu bekommen, ja oder nein?“ Lang antwortet: „Für mich ist der Weg, um diese Unabhängigkeit herzustellen, der Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Lanz sagt: „Das ist nicht die Antwort auf die Frage, Frau Lang.“
Lang: „Doch, das ist meine Antwort auf Ihre Frage.“
Lanz: „Das heißt, Sie beantworten die Frage nicht.“
Lang: „Wenn Sie das so sehen.“
Lanz: „Anders kann man das ja nicht sehen. Ein Gespräch ist Frage, Antwort, das ist das Spiel.“
Das muss man Clemens Fuest nicht erklären, der das Kernproblem der neuen deutschen Energiepläne so auf den Punkt bringt: „Wir erfinden eine völlig neue Energieversorgung, die unerprobt ist, und schalten gleichzeitig Kernkraftwerke ab, die schon da sind und nicht viel kosten“, sagt der Chef des Ifo Instituts. Das kann gut gehen – muss aber nicht …
Markus Lanz trifft auf Karin Prien
10. Februar (Gäste: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), Schülerin Johanna Börgermann, Ärztin Eva Hummers und Soziologe Aladin El-Mafaalani). Es wird das Geheimnis des ZDF bleiben, warum es eine seiner wichtigsten politischen Sendungen selbst in einer hochpolitischen Zeit erst spät in der Nacht beginnen lässt.
Vielleicht liegt es daran, dass Markus Lanz trotz der nicht zu übersehenden Veränderungen bei Themen und Gästen gerade in den vergangenen zwei Jahren immer noch im Bereich Unterhaltung geführt wird, vielleicht hat es damit zu tun, dass das Format auch um 23.30 Uhr funktioniert (und Marktanteile um die 20 Prozent erreicht).
Der Donnerstag ist eine gute Möglichkeit, Lanz und Maybrit Illner, die direkt davor läuft, zu vergleichen, gerade, wenn sich die Themen wie dieses Mal überschneiden. Bayern will die einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen Corona, die Mitte März beginnen soll, nicht umsetzen, bei Illner sieht man dazu das beinahe ritualisierte Aufeinandertreffen von Vertretern der FDP, SPD und CSU mit den erwartbaren Vorwürfen und parteipolitischen Scharmützeln.
Lanz stellt seinen Gästen, zu denen mit Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien nur eine Politikerin gehört (ein Journalist ist interessanterweise diesmal gar nicht dabei), eine scheinbar banale Frage: Wie kann es sein, dass alle 16 Bundesländer eine Impfpflicht beschließen, sich Bayern aber nicht daran hält? Das kann eigentlich gar nicht sein, auch wenn Prien versucht, Verständnis für andere Länder zu zeigen, die Angst davor hätten, dass in den Pflegeheimen das Personal knapp wird. Doch den Punkt macht Lanz, auch wenn sein Vergleich, dass er schließlich nicht einfach 180 km/h auf einer Autobahn fahren dürfte, auf der 130 km/h vorgeschrieben sei, nicht passt.
Markus Lanz lässt sein Alter offen
Es bleibt komisch, dass der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgerinnen Gesetzestreue erwartet, von sich selbst aber, zumindest in Bayern, nicht. Das ärgert vor allem die jüngeren Menschen, als deren Vertreterin die 19 Jahre alte Johanna Börgermann von der Schülerinitiative „Wir werden laut“ bei Lanz zu Gast ist. „Wir leiden“, sagt sie, bevor der Soziologe Aladin El-Mafaalani das Dilemma der Pandemie in einem Satz beschreibt: „Diejenigen, die am wenigsten vom Virus betroffen sind, sind am allerstärksten von den Maßnahmen betroffen.“
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Die Spätfolgen von Lockdowns und Distanzunterricht würden die Gesellschaft noch lange beschäftigen, besonders, weil zwei Jahre Pandemie für einen Zehnjährigen etwas anderes seien als etwa für einen Mann wie Markus Lanz „mit 50 Jahren“: Bei dem einen geht es um ein Fünftel der Lebenszeit, bei dem anderen nur um ein Fünfundzwanzigstel. Lanz lässt das mit den 50 Jahren, die er alt sein soll, so stehen, die meisten werden sowieso glauben, dass er jünger ist. Dabei wird er am 16. März 53 …
Noch eine Zahl zum Schluss: Als El-Mafaalani zum ersten Mal das Wort ergreift, liegt sein Buch „Mythos Bildung“ in der gebundenen Form in den Verkaufscharts bei Amazon auf einem Platz kurz vor 50.000. Am nächsten Morgen findet man es auf Nummer 439, das Taschenbuch steht sogar auf Rang 18 …