Hamburg. In der Abendblatt-Reihe “Die Woche mit Lanz“ blickt Chefredakteur Lars Haider auf die wichtigste politische Talksendung zurück.

Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo) und wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen?

Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das "Leben mit Lanz".

Markus Lanz hat nur Experten für die Ukraine-Russland-Krise zu Gast

15. Februar (Gäste: Politiker Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk, Politologin Daniela Schwarzer und Journalist Michael Bröcker) Die Talkwoche beginnt mit einer Überraschung. Obwohl Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag und Dienstag nach Kiew beziehungsweise Moskau reisen wird, um in Gesprächen mit den dortigen Präsidenten einen Krieg in Europa zu verhindern, spricht Anne Will mit ihren Gästen am Sonntag über Corona. Was vielleicht mit der Angst der Talkshow-Macher vor außenpolitischen Themen zusammenhängt, die für die Zuschauerquote normalerweise nicht so gut sind wie innenpolitische.

Markus Lanz hat dagegen nur Experten für die Ukraine-Russland-Krise zu Gast, darunter einen, der normalerweise in einer Talkshow nichts zu suchen hat – und der nicht weiß, dass der Moderator am Ende ihm die härtesten Fragen stellen wird. Doch erst einmal kann Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, das Gespräch über Scholz‘ Besuch bei Wladimir Putin entspannt verfolgen.

Es geht um den absurd langen Tisch, an dem der russische Präsident den Kanzler empfangen hat. Was Lanz für eine Machtdemonstration, ein „Psychospiel“, hält, hat wahrscheinlich ganz andere Gründe: „Vielleicht hat der ewige Präsident tatsächlich Angst vor Corona“, sagt Michael Bröcker, Chefredakteur bei „The Pioneer“. Was dafür spricht: Putin hat am Vortag auch seinen eigenen Außenminister mit einem Abstand von (mindestens) sechs Metern empfangen … Eindruck scheint der mächtige Tisch auf Scholz sowieso nicht gemacht zu haben. Er sei sehr klar und sehr ruhig gewesen, „das war bisher sein bester Auftritt als Kanzler“, sagt Bröcker.

Lanz muss lachen, als die Szene aus der Pressekonferenz eingespielt wird, in der Scholz darüber spricht, dass ein möglicher Nato-Beitritt so weit in der Zukunft liegt, dass die beiden Staatschefs dann voraussichtlich gar nicht mehr im Amt sein würden … So etwas zu sagen, wenn man neben Wladimir Putin steht, muss man sich erst mal trauen, „so ist Scholz eigentlich nur hinter den Kulissen“, sagt Lanz, bevor er sich den ukrainischen Botschafter vornimmt. Denn der bleibt bei seiner Einschätzung, dass ein Krieg unmittelbar droht, „dabei hat Ihr Außenminister gerade erklärt, dass das Schlimmste abgewendet sei“, so Lanz.

Doch Melnyk, der das Verhalten der Bundesregierung in den vergangenen Tagen so hart wie wenige andere kritisiert hat, besteht weiter auf Waffenlieferungen aus Deutschland, er zählt sogar auf, was man alles braucht. Und Markus Lanz stellt Fragen, auf die auch der Botschafter keine Antworten hat: „Was würden Waffenlieferungen an Ihrer Situation ändern? Wie wollen Sie eine Armee wie die russische abschrecken? Warum rüsten Sie nicht verbal ab?“

Lanz kommt erst nach Mitternacht

16. Februar (Gäste: Rodel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger, die Journalisten Thomas Kistner und Ulf Röller, ZDF-Korrespondent in Peking) Markus Lanz ärgert sich immer wieder, wie das Zweite Deutsche Fernsehen seine Sendung ansetzt. „Wir werden da manchmal unglaublich herumgeschoben“, hat er in einem Interview mit der Fachzeitschrift „Journalist“ gesagt, und dass man eine Talkshow auch „kaputtprogrammieren“ könne, wenn man ihr jede Verlässlichkeit nehme. Heute ist der Frust bei Redaktion und Zuschauern besonders groß, denn die gewohnte Lanz-Sendung an einem Mittwoch fällt komplett aus.

Die neue Folge beginnt erst um Mitternacht, und damit am Donnerstag, verdrängt von Berichten aus der Fußball-Champions-League. Und was macht Lanz? Er verkürzt die Show von normalerweise 75 auf 44 Minuten, hat „zu sehr später Stunde“ nur zwei Gäste im Studio und einen, den Peking-Korrespondenten des ZDF, zugeschaltet. Thematisch schließt der Moderator, wie das früher öfter üblich war, scheinbar an die vorhergehende Sportsendung an, spricht aber nicht über Sport, sondern über Politik, genauer gesagt über die Instrumentalisierung der Olympischen Spiele in China: „Es lässt sich mit dem ganzen olympischen Narrativ eine wunderbare, gigantische Lüge zusammenspinnen“, sagt der Journalist Thomas Kistner.

Es sei nur noch ein Geschäft, es gehe „um Geld, Geld, Geld“ und sonst um gar nichts, und das habe das Regime in China „maximal“ für seine Zwecke genutzt. Und bei den Sportlerinnen und Sportlern Erinnerungen geschaffen, die Rodel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger so beschreibt: „Ich bin da hin, habe meinen Job gemacht – und jetzt bin ich wieder hier und werde nie wieder nach China fahren.“ Na dann: Gute Nacht.

Lanz ist überzeugt, dass den Zuschauern intellektuell mehr "zugemutet werden kann"

17. Februar (Gäste: CDU-Politiker Norbert Röttgen, die Journalistinnen Kerstin Münstermann und Anna Lehmann, Ex-Botschafter Rüdiger von Fritsch) Wer nach Anzeichen für ein sich anbahnendes Ende der Pandemie in Deutschland sucht, findet sie auch bei Markus Lanz. Zum ersten Mal seit mehreren Monaten taucht Corona, wenn überhaupt, in einer Sende-Woche nur in Nebensätzen auf. Lanz verzichtet sowieso komplett auf innenpolitische Themen, auch wenn das, siehe oben, für Talkshows immer ein Risiko ist. Doch die Vorstellung, dass man dem deutschen Fernsehzuschauer komplexe internationale Zusammenhänge (mitten in der Nacht!) nicht vermitteln kann, teilt der Moderator nicht.

Er ist seit Langem überzeugt, dass das politische Interesse des Publikums größer ist als vermutet, und dass man ihm intellektuell mehr zumuten kann, zum Beispiel eine Sendung, in der es auch um „die Gefahren zukünftiger geopolitischer Verwerfungen für EU und Nato“ gehen soll. Zumindest kündigt das ZDF den „Talk vom 17. Februar“ offiziell so an, und es ist ein Glück, dass man ihn in der Mediathek am nächsten Tag in aller Ruhe ansehen kann und nicht auf die Erstausstrahlung von 23.30 bis 0.45 Uhr angewiesen ist.

Wenn es öffentlich-rechtliche TV-Anstalten mit ihrem Informationsauftrag gerade in unsicheren und erklärungsbedürftigen politischen Zeiten ernst meinen, ist solch eine Zeit, um mal in Markus Lanz Sinne nicht drum herum- zureden, mindestens eine Unverschämtheit. Zumal der ehemalige deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch, aus eigener Anschauung berichten kann, was Wladimir Putin will und wie die Lage wirklich ist.

Vor Corona hat Wladimir Putin offensichtlich Angst

Erkenntnis eins, eher nüchtern: Für Deutschland ist Russland kein Gegner und umgekehrt, der eine muss großes Interesse an den Sicherheitsbedürfnissen des anderen haben, weil diese ihn direkt betreffen. Erkenntnis Nummer zwei, eher psychologisch und emotional: Ausgerechnet der Mann, vor dem die westlichen Demokratien im Februar 2022 am meisten Angst haben, ist selbst voller Sorge: „Anderes fürchtet er nicht so sehr, aber vor Corona hat Putin offensichtlich Angst“, sagt Kerstin Münstermann, die wie alle Journalistinnen und Journalisten, die Olaf Scholz auf seiner Reise nach Russland begleitet haben, in Deutschland drei PCR-Tests (in vier Tagen) und noch einen in Russland machen musste.

Lanz lässt erneut das Bild einblenden, das Putin und Scholz an dem langen Tisch zeigt, an dem sie weit voneinander entfernt sitzen. „Ist das Diplomatie oder Angst vor Bakterien?“, lautet die Frage an von Fritsch. „Das ist Angst vor Bakterien“, sagt der ehemalige Botschafter, und Münstermann erzählt, dass alle russischen Kameraleute, die von dem Treffen berichten wollten, vorher zwei Wochen in Quarantäne mussten.

Es sind solche Geschichten, die Markus Lanz auch ausmachen, und eine hat von Fritsch noch. Er berichtet von Putins „grauem, kaltem Palast“ vor den Toren Moskaus, der „völlig ungemütlich, völlig unpersönlich und ohne jeglichen Versuch, Atmosphäre zu schaffen“, eingerichtet worden sei. „Ich war mal mit einer Landesministerin dort, die ihren Ministerpräsidenten begleitete, und die erlaubte sich die Bemerkung: ‚Hier hat nie eine Frau Hand angelegt.‘“

Und natürlich fragt Lanz nach: „Wer war das?“ Antwort: „Eine Landesministerin, die ihren Ministerpräsidenten begleitete.“ Lanz: „Aus welcher Himmelsrichtung?“ „Wie viele Bundesländer haben wir? 16? Eines von denen war’s.“

Lanz lacht, sagt „sehr gut“ und fragt tatsächlich nicht (!) weiter.