Hamburg. Die Hamburger Agentur Grabarz & Partner räumt derzeit Kreativpreise en masse ab. Unter den Kunden sind Ikea und Mobilcom-Debitel.

Warum hat der Tatort so hohe Einschaltquoten? Weil er nicht durch Werbung unterbrochen wird. Das ist rein faktisch gesehen ein echter Wettbewerbsvorteil gegenüber den privaten TV-Angeboten, wo blitzende Autos durch Spielfilme kurven, perlende Biere in der Sonne glänzen und Handys lauter fröhliche, wahlweise zu Tränen gerührte, auf jeden Fall sehr emotionale Menschen zusammenbringen. Werbung im Fernsehen? Zum Abschalten.

Findet auch Reinhard Patzschke: „Werbung ist wie ein ungebetener Gast, der einfach in mein Wohnzimmer poltert. Wenn er schon da ist, sollte er mich gut unterhalten oder mir etwas Interessantes zu erzählen haben. Sonst fliegt er raus.“

Patzschke ist kein Blogger, der sich mit Medienkritik gerade so über Wasser hält. Er ist Geschäftsführer der sehr erfolgreichen Hamburger Werbeagentur Grabarz & Partner (G&P). Noch nervender sei manch Internet-Werbung, die sich etwa über die besuchten Seiten legt und kaum wegklicken lässt.

Weltweit rangiert Grabarz & Partner unter den selbstständigen Agenturen auf Platz drei

So viel Selbstkritik ist man aus einer egogesteuerten Branche wie der Werbung gar nicht gewohnt. Oder ist es eher die Hybris eines alten Hasen, der schon alles gemacht und gesehen, sich etabliert hat (um das größte Schimpfwort für einen Kreativen auszusprechen)? Schließlich ist der 48 Jahre alte Berater seit 1998 an Bord von G&P – eine gefühlte Ewigkeit in der heutigen Zeit. Die Wahrheit ist: Patzschke kann es sich leisten zu urteilen. Schließlich wurde er zusammen mit seinen drei Partnern und den 250 Mitarbeitern kürzlich vom Fachmagazin „Werben & Verkaufen“ zur besten deutschen Agentur 2015 gekürt. Weltweit rangiert Grabarz & Partner unter den selbstständigen Agenturen auf Platz drei.

Unter ihre großen Referenzkunden wie Volkswagen, Ikea, DEVK Versicherung und Mobilcom-Debitel, mit denen die Agentur sehr lange und gewinnbringende Beziehungen pflegt, mischen sich auch immer wieder engagierte Vorzeigeprojekte, Anzeigen für Tierschutzorganisationen oder den Hamburger Blindenverein. Ein Luxus, den sich die Agentur leistet, um Preise zu gewinnen? „Ich finde, es steht einer Agentur und der Branche allgemein gut an, wenn man sein Talent dafür nutzt, dass die Welt ein bisschen besser wird“, sagt Kreativchef Ralf Heuel, 48. „Und es tut auch den Mitarbeitern gut, mal über Themen nachzudenken, die nicht profitgesteuert sind. Es ist also kein Luxus, sondern Teil unserer Identität.“ Er ist laut „Werben und Verkaufen“-Ranking der viertbeste Kreativ­direktor der Welt. Auf seine Kappe gehen die „Wir lieben Lebensmittel“-Kampagne des langjährigen Kunden Edeka, der Debitel-Grieche „Costa fast gar nix“ und der „Rechts gegen rechts“-Spot für die Aussteigerorganisation Exit.

Wunsiedel war der perfekte Ort für die „Rechts gegen Rechts“-Kampagne

Mit Letzterem hat Grabarz & Partner den Olymp der Werbebranche erklommen. „Die Idee war, eine Neonazi-Demo in ihr Gegenteil zu verkehren. Wunsiedel war der perfekte Ort dafür.“ Das Städtchen in Oberfranken wird jedes Jahr von einem Neonazi-Aufmarsch heimgesucht, ohne dass die Bürger etwas dagegen tun können. „Unsere Idee: Für jeden Meter, den die Neonazis laufen, sollten die Bürger und Unternehmen zehn Euro an Exit spenden. So wurde aus der Demo ein Spendenmarsch, die Neonazis liefen quasi gegen sich selbst. Das hat eine Menge für Exit getan.“ Die Kampagne, die gemeinsam mit der Hamburger Agentur GGH MullenLowe entstand, erregte weltweit Aufsehen, „Rechts gegen rechts“ wurde zum vielfach ausgezeichneten Spot.

Heuel ist Gründungsmitglied der Agentur, die 1993 von Andreas Grabarz ins Leben geholt wurde. Damals kam er als Juniortexter von Düsseldorf nach Hamburg. An seine erste Print-Anzeige für Ikea erinnert er sich noch ganz genau: „Damals hatte Ikea die Billy-Regale für eine Zeit aus dem Sortiment genommen. Irgendwann hatte ich ein Interview mit Helmut Schmidt gelesen, der seine gesamte Bibliothek in Billy-Regalen untergebracht hat. Als das Modell dann wieder auf den Markt kam, habe ich eine Anzeige für die ‚Zeit‘ geschrieben mit der Überschrift: ‚Nichts zu danken, Helmut! Billy ist zurück.‘ Im Text wurde die Geschichte dann aufgelöst.“

Woher kommen diese Ideen, wie entsteht Kreativität? Es komme vor, dass er tagelang nach einer zündenden Idee suche und nichts passiere. Kaum im Auto fielen ihm gleich drei gute Ansätze ein. „Ich habe mal mit einem Neurologen darüber gesprochen. Der sagt: Beim Autofahren konzentriert sich die eine Gehirnhälfte auf den Verkehr, die andere kann sich entspannen und Disco machen. Fand ich logisch.“ Sein Partner Thomas Eickhoff kontert: „Ich dachte, die Ideen kommen dir in der Badewanne?“ Darauf Heuel: „Schnelle Autos und heiße Badewannen. Mein Erfolgsgeheimnis.“

Eine 80-Stunden-Woche ist für die Werber durchaus nicht unüblich

Werbung, die G&P nie machen würde? „Politische Parteien finde ich schwierig“, so Berater Eickhoff, 55. „Pharma, glaube ich, können wir einfach nicht. Wir beleuchten im Vorfeld immer die Kommunikationsstrategie einer Marke: Wollen die wirklich was bewegen? Wenn unsere Aufgabe ist, zum Beispiel nur einen Löffel zart in einen Joghurt eintauchen zu lassen, um die Cremigkeit zu zeigen, dann steige ich da aus.“

Für interessante Projekte geben die Werber dagegen alles, eine 80-Stunden-Woche sei nicht unüblich. Ein Familienleben schließe das aber nicht unbedingt aus. Im Gegenteil: „Meine Kollegen und Kunden wissen, dass sie von mir morgens um sechs oder nachts um 24 Uhr Mails bekommen, dafür nicht zwischen acht und zehn Uhr und 20 und 22 Uhr, weil ich dann mit meinen Kindern beschäftigt bin. Heute würde ich sagen: Das ist ein hervorragender Break, der mir hilft, dann wieder mit frischem Kopf an die Arbeit zu gehen – und um generell einfach auf der Erde zu bleiben“, sagt Stefanie Kuhnhen. Die 39-Jährige ist seit 2005 strategische Planerin bei G&P und gerade zum zweiten Mal Mutter geworden (ihr acht Tage alter Sohn wird während des Interviews im Kinderwagen um die Agentur geschoben).

„In den besten Fällen merke ich gar nicht, dass ich arbeite, weil es mich einfach interessiert“, ergänzt Reinhard Patzschke. „Ich habe auch kein Pro­blem mit der Work-Life-Balance, weil ich gar nicht weiß, was ich ausbalancieren soll. Ein Psychologe würde wahrscheinlich sagen, genau das ist ja das Problem.“ Thomas Eickhoff bringt es schließlich lachend auf den Punkt: „Du bist eben der perfekte Burn-out-Kandidat!“