Hamburg. In Lars Beckers Polizei-Thriller „Zum Sterben zu früh“ spielt der Österreicher Fritz Karl einen Hamburger Kripo-Mann.

Diese Tränensäcke. Gefüllt mit Wodka und all den anderen Drogen, die Erich Kessel sich reinzieht. Dreitagebart, ungekämmte Haare, schluffige Lederjacke. Kessel ist nicht irgendein Junkie, er ist Kriminalkommissar und Drogenfahnder bei der Hamburger Kripo. Gespielt wird er in Lars Beckers Polizei-Thriller „Zum Sterben zu früh“ von Fritz Karl.

Die Tränensäcke sind zwar nicht gänzlich aus seinem Gesicht verschwunden, doch beim Interview auf der Dachterrasse im Hamburger ZDF-Landesstudio hat der 47-Jährige nichts mehr von dem menschlichen Wrack an sich, das er unter Beckers Regie spielen muss. „Ich gehe sehr in meine Rolle rein. Das macht auch mit meinem Gesicht was. Wenn ich dann in einen Spiegel schaue, denke ich tatsächlich: ,Gott, sehe ich Scheiße aus‘, sagt er. „Das sind auch die Filme, bei denen meine Familie mich nicht besuchen kommt.“ Karl ist mit der Schauspielerin Elena Uhlig verheiratet, das Paar hat drei Kinder.

„Zum Sterben zu früh“ ist ein Prequel zu der Verfilmung von Georg M. Oswalds Roman „Unter Feinden“, die Lars Becker 2013 für das ZDF inszeniert hat. Der Hamburger Autor und Regisseur fand das erzählerische Potenzial der Story um die beiden Hamburger Ermittler so stark, dass er eine Vorgeschichte zu dem Roman geschrieben hat. Darin geht es um die Freundschaft zwischen Kessel und seinem Partner Mario Diller (Nicholas Ofczarek), Kessels Eheprobleme und eine Menge Kokain. Bei einer Festnahme findet Kessel 30 Kilo Stoff und lässt die Tasche mit den Drogen mitgehen, statt sie in der Asservatenkammer abzu­liefern. Er will das weiße Pulver mit einem Wert von drei Millionen Euro an einen Großdealer verkaufen, um damit eine dringend notwendige Operation seiner an Epilepsie leidenden Tochter zu bezahlen. „Mit Kessel ist es wie in der griechischen Tragödie“, sagt Fritz Karl über seine Figur, „er nimmt immer die falsche Abzweigung.“

Um sich auf seine Rolle vorzubereiten, hat Fritz Karl viele Gespräche mit einer Wiener Ärztin geführt, die ein Buch über Opiatabhängige geschrieben hat. Sein Kommissar Kessel steht unter enormem Druck, die Beziehung zu Ehefrau Claire (Jessica Schwarz) zerbricht, das Paar hat hohe Schulden und ein krankes Kind, es kommt zu häus­licher Gewalt, Kessel versucht Druck mit Alkohol und Drogen abzubauen. In seinem Dienstwagen und in seinem Schreibtisch liegt immer eine Flasche Wodka bereit, seine Frau findet sogar ein Tütchen mit Heroin. „Kessel wünscht sich eine intakte Ehe, aber er ist zu oft nicht zu Haus, weil der Beruf so viel von ihm fordert. Er ist ständig in Kontakt mit Drogen, die Verlockungen für einen labilen Charakter wie ihn haben“, erklärt Karl seine Figur. Gerettet wird er von seinem Kollegen Diller. Für die Rolle hat Lars Becker schon für „Unter Feinden“ den Burg-Schauspieler Nicholas Ofczarek ausgewählt.

Karl und Ofczarek kennen sich schon lange aus der Theaterszene in Wien. 2000 haben sie beim Fernsehfilm „Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy“ zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera gestanden. Obwohl sie befreundet sind, sprechen sie sich gegenseitig mit ihren Nachnamen an. „Es ist schon lustig, dass Lars ­Becker zwei Österreicher als Hamburger Polizisten verpflichtet hat“, sagt Karl. Im Spiel der Protagonisten ist zu spüren, wie ähnlich sie ticken. Mit Jessica Schwarz und Anna Loos als Dillers Ehefrau Emma kreiert das Quartett ein stimmiges und intensives Ensemblespiel.

Fritz Karl gehört seit 2009 zu Beckers sogenannter Familie. Der Regisseur verpflichtete ihn für seine „Nachtschicht“-Folge „Blutige Stadt“, in der Karl einen Rettungssanitäter spielte. Später war er in der Komödie „Trau niemals deiner Frau“, dem Thriller „Geisterfahrer“ und in „Unter Feinden“ dabei. „Lars arbeitet mit einem Ensemble und ist sehr treu zu seinen Schauspielern. Daraus resultiert eine große Qualität in der Arbeit. Es ist eine Selbstverständlichkeit, bei ihm auch kleine Rollen zu übernehmen“, erzählt der aus Oberösterreich stammende Schauspieler. „Becker ist der Kapitän, er weiß, wohin die Reise geht.“

Auch die Reise von Fritz Kessel und Mario Diller ist noch nicht zu Ende. Am Schluss von „Unter Feinden“ wird Kessel zwar niedergeschossen und es scheint, als sei er tot. Doch Georg M. Oswald möchte eine Fortsetzung der spannenden Polizei-Story schreiben. Natürlich wird Lars Becker auch die Verfilmung des dritten Teils mit Karl und Ofczarek übernehmen. Und der Österreicher Karl darf wieder in seiner deutschen Lieblingsstadt arbeiten: „Für mich als jemand, der vom Land kommt, ist Hamburg überwältigend. Ich liebe die Backsteinbauten, die Elbchaussee und die HafenCity.“ Und die aufregenden Drehs. Diesmal darf er mit Ofczarek in halsbrecherischem Tempo durch die Billstraße brettern.

Zum Sterben zu früh ZDF, 9. November, 20.15 Uhr