Der Film beruht auf einem Roman von Elisabeth Herrmann. Demnächst liest die erfolgreiche Bestsellerautorin in Hamburg.

Schon schrecklich, was die Schüler an diesem Vormittag im Berliner Tierpark entdecken. Sie stehen vor dem Gehege der Pekaris. Der Name stammt aus der Sprache der brasilianischen Tupi-Indianer, er bedeutet „Tier, das viele Wege durch den Wald macht“. Es sind borstige Nabelschweine mit sehr starken Kiefern. Paarhufer. Allesfresser. In diesem Fall: Leichenfresser.

„Das Dorf der Mörder“ im ZDF beginnt mit einem gezielten Schock unter Berlins ewig grauem Himmel. Die Polizistin Sanela Beara trifft zuerst am Tatort ein. Der Tote ist nicht mehr zu identifizieren. Nur an einem herumliegenden Schuh erkennt man, dass es ein Mann gewesen sein muss. Während man den Tieren unter Betäubung die Mägen öffnet, schickt Bearas selbstherrlicher Vorgesetzter Gehring, wunderbar gespielt von Jürgen Tarrach, die junge Kollegin zum Kaffeeholen. Sie lernt die Tierpflegerin Charlie kennen und wird auf dem Rückweg mit einem Spaten niedergeschlagen. Als sie im Krankenhaus erwacht, erzählt man ihr, die Pflegerin sei auch die Mörderin gewesen: Sie habe den Mann den hungrigen Tieren zum Fraß vorgeworfen.

Niki Steins Film beruht auf Motiven des gleichnamigen, 2013 erschienenen Romans von Elisabeth Herrmann. Wer die Thriller der seit Jahren erfolgreichen Bestsellerautorin kennt, der weiß, dass darin gern Gespenster aus vergangenen Jahrzehnten spuken. In „Das Kindermädchen“, erschienen 2007, war es eine dunkle Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus, die den Hintergrund lieferte. „Zeugin der Toten“ erzählte 2011 von einer Tatort-Reinigerin, die von ihrer Kindheit in der DDR eingeholt wurde. Beide Geschichten brachten es in Adaptionen auch auf die Fernsehschirme.

Auch Sanela Beara, Kroatin und selbst gepeinigt von frühen Erinnerungen aus der Zeit des Jugoslawienkrieges, steigt hinab in die Vergangenheit. Ihr schmieriger Vorgesetzter will den Fall schnell zu den Akten legen, zumal die Tierpflegerin geständig ist. Aber die Polizistin mag nicht daran glauben. Sie stellt fest, dass der Mord im Tierpark mit Charlies Kindheit zusammenhängt. So findet sie sich bald in einem verlassenen Nest im Brandenburgischen wieder. Hier gibt es nur noch ein paar Alte, alle anderen sind entweder gestorben oder vor ein paar Jahren auf seltsame Weise ums Leben gekommen.

Es sind die gut besetzten Frauenfiguren, die diesen Film über den Durchschnitt heben. Alina Levshin als Polizistin und Anna Loos als Tierpflegerin sind komplexe, abgründige Charaktere. Charlie zeigt der Polizistin die Tierfutteraufzucht des Tierparks – jene gern versteckte Einrichtung in Zoos, in denen Küken und anderes Getier aufgezogen werden, um größere Tiere damit zu ernähren. Eine verstörende Szene. In einer Nebenrolle sehen wir Anna Brüggemann als Schwester der angeblichen Mörderin. Sie ist als Kind zur Adoption­ freigegeben worden, so zu Wohlstand gekommen und stürzt sich mit dem Polizeipsychologen in eine Affäre. Aber auch sie ist, wie alle Frauen hier, seltsam hart und verschlossen.

Sie bewegen sich durch eine Welt, der Kameramann Arthur W. Ahrweiler gekonnt klaustrophobische Züge gibt. Alles hier ist unwirtlich und schäbig: die verfallenen Häuser Brandenburgs, die hoffnungslosen Herbergsräume, die dreckigen Armaturen und draußen ein Herbst ohne Farben und Sonne, in dem sich die Menschen eingesperrt fühlen müssen wie in einem Tiergehege. Sanela Beara trifft auf Menschen, denen das Verschweigen und Vertuschen zur Natur geworden ist.

Ein Werbefilm für die verborgenen Schönheiten Brandenburgs ist dabei sicher nicht herausgekommen – dafür ein sehenswerter Thriller, wenn auch kein erstklassiger. Dafür hätte die Auflösung nicht derart weit über das Ziel hinausschießen dürfen. Am Ende stehen wir vor einem derart finsteren Abgrund aus Elend und Gewalt, dass uns ein wenig der Glauben daran abhanden kommt. Vor allem aber hätten alle Handlungsfäden bis zum Ende verfolgt werden müssen: die kroatische Vorgeschichte der Ermittlerin, das kindliche Trauma in den Wirren eines Bürgerkriegs bleibt ein blindes Motiv in dieser Geschichte. Auch deshalb wäre Sanela Beara ein weiterer Fall zu wünschen.

„Das Dorf der Mörder“, heute, 20.15 Uhr, ZDF
Elisabeth Herrmann, Autorin der Buchvorlage zum Film, liest auch beim 9. Hamburger Krimifestival: Lesung „Der Schneegänger“, Freitag, 6.11., 19 Uhr, Kampnagel K, Eintritt: 12 Euro