Das ZDF zeigt heute Abend „Engel unter Wasser“, einen fesselnden Fernsehfilm mit toller Besetzung, effektvoll inszeniert.

Es ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann: das eigene Kind beerdigen zu müssen. Die kleine Anna ist in einer stürmischen Nacht verschwunden, schlaglichtartig sieht man Männer mit Taschenlampen am Strand auf und ab laufen. Am darauffolgenden Morgen wird das Mädchen tot im Bett von Michael Brandstetter (Heiko Pinkowski) gefunden. Ein Fall, wie er für den Inselpolizisten Christian Ströver (Maxim Mehmet) klarer nicht sein könnte. „Der ist hier oben nicht älter als das kleine Mädchen“, bilanziert Ströver. Eine Hirnhautentzündung als Kind sei der Grund, sagt er, und: „Das ist halt der Micha. Dem hast du einfach gesagt: ,Hör auf mit dem Scheiß’. Hat doch keiner damit rechnen können, dass ...“ Aber ist tatsächlich alles so, wie es zunächst scheint?

Ströver und auch Annas Vater Werner Kampe (Sascha Alexander Gersak) sind jedenfalls fest davon überzeugt, dass Micha Anna auf dem Gewissen hat. Annas Mutter Sybille (Anna Schudt) weiß vor lauter Schmerz und Medikamenten gar nicht, was sie denken soll. Und die beiden vom Festland auf die Insel hinzugerufenen Ermittler Walter Steinhilb (Walter Kreye) und Mark Lubosch (Hanno Koffler) wissen das vorerst auch nicht.

Denn Micha beteuert, er habe Anna am Strand gefunden und sie nur mitgenommen, weil sie „so kalt“ gewesen sei. Außerdem sind die Familienverhältnisse im Haus des Opfers komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Denn da ist auch noch Judith (Anna Maria Mühe), Sybilles kleine Schwester, die auf die Insel zurückgekehrt ist, um zu helfen. Der Vater der beiden, Alfred (Gerhard Garbers), lebt ebenfalls im Haus. So wie Laura (Emilia Pieske), die Schwester von Anna. Als solche wird sie zumindest vorgestellt. Polizist Ströver mauert erst einmal, als Ermittler Lubosch ihn auf Ungereimtheiten anspricht. Anna sei ein Adoptivkind, wo sie herkomme, wer ihre eigentlichen Eltern sind, das wisse niemand, heißt es.

Tatsächlich gibt es zahlreiche familiäre und dramaturgische Volten, die „Engel unter Wasser“ im Verlauf seiner 90 Minuten schlägt. Steinhilb und besonders Lubosch wirken dabei als Ruhepol, um die herum sich die Hintergründe dieses nur auf den ersten Blick einfach zu lösenden Mordfalls entfalten. Die eigentliche Handlung, sie findet in der Familie des Opfers statt, effektvollen Anschlägen auf das Inselrevier und anderem Drumherum zum Trotz.

„Engel unter Wasser“ ist klug inszeniert, sehr gut besetzt und herbstlich-düster

Das Etikett „Nordseekrimi“, das man beim ZDF an den Filmtitel gepappt hat, es führt nämlich in die falsche Richtung. Denn mit amüsanten Kriminalfällen zwischen Kühen und Deichschafen hat der Film von Michael Schneider nach einem Drehbuch von Jörg von Schlebrügge rein gar nichts zu tun.

„Engel unter Wasser“ ist mehr Familiendrama als Thriller, klug inszeniert, sehr gut besetzt und herbstlich-düster. Neben Koffler, der seinem Kommissar Lubosch die richtige Mischung aus wortkarger Distanz und Präsenz verleiht, faszinieren besonders die ungleichen Schwestern und ihr Verhältnis zueinander. Das gilt schon beim ersten Aufeinandertreffen, als Sybille auf einmal hinter Judith steht und flüstert: „Nimm sie mir nicht weg.“ Stark: Auf der einen Seite die mal zerbrechlich, mal fast bedrohlich wirkende Anna Schudt als Sybille, auf der anderen Seite eine herausragend agierende Anna Maria Mühe als Rückkehrerin auf die Insel, die erst langsam wieder in die alte Heimat, in neue Rollen findet.

Natürlich weiß der erfahrene Krimischauer: Wenn am Anfang ein geistig Minderbemittelter als Hauptverdächtiger präsentiert wird, ist das nie und nimmer der Täter. Ein alter Hut, dramaturgisch gesehen. Und doch funktioniert der Dreh mit dem armen Tropf, dem ein Verbrechen in die Schuhe geschoben werden soll, das man ihm irgendwie zutrauen könnte, das er aber – so viel ist schnell klar – nie und nimmer begangen haben kann.

Auch die Diskrepanz zwischen dem Dorfbullen, der viel zu nah dran ist an Verdächtigen und Opfern, um sinnvoll ermitteln zu können, und den kühl-distanzierten Profis wird gekonnt ausgekostet. Und die verkrachte Familie, in der es unter der Oberfläche mächtig brodelt, ist ebenfalls alles andere als eine Neuerfindung. Aber auch diese Klischee-Untiefen umschifft der Film souverän, die bekannten Einzelteile werden zu einem neuen Ganzen verbunden, das von Beginn an fesselt.

Also verzeiht man „Engel unter Wasser“ die gelegentlichen kleinen Schwächen gern. Ein wenig mehr Zurückhaltung beim immer wieder bedrohlich aufbrandenden Soundtrack wäre allerdings schön gewesen. Und ja, in Norddeutschland regnet es durchaus mal. Aber so oft und heftig? Egal, Schwamm drüber. Zusammen mit den Bildern von Kameramann Andreas Zickgraf, die die Insel in weiten Schwüngen zeichnen, ohne sich in norddeutschem Postkartenkitsch zu verlieren, verdient der Film nämlich zumindest das zweite Etikett, dass das ZDF ihm aufgrund des Sendeplatzes verliehen hat: Fernsehfilm der Woche.

„Engel unter Wasser“ Mo, 20.15 Uhr, ZDF