„Guardian“-Reporter Ewen MacAskill berichtet auf einer Konferenz in Hamburg, wie er den Whistleblower interviewte. Bürgermeister Olaf Scholz: Spionage unter demokratischen Regierungen ist unnötig.
Hamburg. Die Ansage war für Ewen MacAskill nichts Ungewöhnliches. „Du fliegst morgen nach Hongkong“, wurde dem Reporter des britischen „Guardian“ beschieden. Gestern Wahington, heute London, dann eben morgen Hongkong, dachte sich MacAskill und holte sein Ticket. Irgendeine Geheimdienstsache wieder. Wahrscheinlich war eh nichts dran.
Für den erfahrenen Reporter mit dem strengen schottischen Akzent sollte es die Geschichte seines Lebens werden, die ihm viel Arbeit, Überwachung durch die Geheimdienste, einen Pulitzerpreis und sonstige Dinge einbringen sollten, über die MacAskill gar nicht genug Zeit hat zu reden.
Beim ONO-Kongress der Medien-Ombudsleute in Hamburg berichtete MacAskill mit professioneller Genauigkeit, aber ohne Arroganz, wie er mit seinem Kollegen Glenn Greenwald und der Filmemacherin Laura Poitras in Hongkong den Whistleblower Edward Snowden traf – und damit einen Erdrutsch in der Welt der Geheimdienste auslöste.
„Wir dachten jedesmal, wenn wir ihn befragten, er würde am nächsten Tag nicht mehr wiederkommen“, sagte MacAskill. Die Journalisten hatten zunächst nicht viel Vertrauen in Snowden. Ein 29-Jähriger, der aussieht wie 22 und diese Karriere bei den Geheimen gemacht haben will? Bei CIA und NSA? In Washington, Genf und auf Hawaii?
Snowden legte jeden Tag der Befragungen in einem Hongkonger Hotel neue Dokumente vor, lieferte Beweis um Beweis. Alles jedoch mussten die Journalisten nachprüfen, gegenchecken, für eine Veröffentlichung aufbereiten.
Am Ende löste die Affäre um die Abhörpraxis der amerikanischen Geheimdienste eine Welle aus, die die internationale Politik wie kaum eine Enthüllung der vergangenen Jahre aufwühlte. Es wurde bekannt, dass sogar das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel von der NSA abgehört wurde.
Verwunderlich für den Mit-Enthüller MacAskill: Während der tagelangen Befragung kam die CIA dem geflohenen Snowden und den Reportern nicht auf die Spur. Dabei waren die Vorsichtsmaßnahmen der Journalisten nicht einmal besonders groß. Immerhin: Falls MacAskill sicher war, dass die Informationen von Snowden glaubwürdig sind, sollte er eine SMS an eine Kollegin schicken, Inhalt: „Das Guinness ist gut hier.“
MacAskill war am ersten Tag der Stargast, wenn man so will, bei der Tagung der Ombudsleute, die erstmal in Hamburg stattfand, Gastgeber ist das Abendblatt, Ort ist das Axel Springer Haus.
Zuvor hatte bereits der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die USA und die Ausspähpraxis der National Security Agency (NSA) kritisiert. „Niemand sollte eine demokratische Regierung ausspionieren“, sagte Scholz mit Blick auf die NSA-Abhöraktionen auch gegen die Bundeskanzlerin. Die Amerikaner sollten es außerdem unterlassen, deutsche Unternehmen auszuspähen. Unter Freunden sei das generell nicht notwendig, sagte Scholz.
Um eine klare Aussage zum NSA-Enthüller Edward Snowden wand sich Scholz diplomatisch herum. Ob Snowden vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen könne, müsse der Ausschuss selbst entscheiden. Derzeit gibt es eine heftige politische Debatte darüber.
Scholz sagt, Snowden habe nun mal amerikanische Gesetze gebrochen. Dennoch lobte und forderte Hamburgs Erster Bürgermeister den investigativen Journalismus. Gerade der NSA-Skandal habe ja gezeigt, welche technischen Möglichkeiten es beim Abhören und Ausspionieren gebe. Die moderne, digitale Gesellschaft müsse den investigativen Journalismus zulassen, „sonst leiden die Freiheit und die Gerechtigkeit“. Das hätten die USA noch nicht verstanden.
Dennoch betonte Scholz, dass man Geheimdienste brauche, auch in Hamburg, um gegen Terrorismus gewappnet zu sein. Man müsse aber zulassen, dass über den Einsatz der Geheimdienste öffentlich diskutiert werde.
Zu Beginn der ONO-Konferenz hatte der Präsident der Organisation, Stephen Pritchard (“Observer“) gesagt, die Korruption in manchen Staaten der Welt nehme so sehr zu, dass selbst Journalisten in politische Skandale hineingezogen werden. Damit spielte Pritchard an auf die Affäre um den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, in deren Gefolge auch kritische Journalisten ihren Job verloren.