Anne Will machte Platz für Jauchs neue Talkshow. Der Mann von RTL überzeugte im Ersten – auch die Gremlins in den Gremien? Eine kleine Nachtkritik.
Hamburg. Anne Will heißt jetzt Günther Jauch. Die hellen Hosen, die langen Haare, die fast maybrit-illner-artig hochgezogenen Augenbrauen sind einer bubihaften, aber heruntergedimmten Moderation gewichen. Es war ein guter Auftakt, ein angemessenes erstes Mal von Jauch im Ersten. Niemand wird Millionär, kein neuer Stern geht auf am TV-Himmel – aber Günther Jauch hat zum zehnten Jahrestag des 11. September mal wieder den alten Spürsinn vor die Kamera gebracht.
Hat das alte Buch „Einführung in den praktischen Journalismus“ hervorgekramt und eine Premiere hingelegt, die sehr ordentliches Mundwerk war, gepaart mit einem Schuss Jauch-Joker. Der Jauch-Joker ist die Miene, die der beste bayerische TV-Export aufzieht, wenn er so unschuldig tut, als sei er Inspektor Colombo. Dabei hat er die „übernatürliche Erwartungshaltung“ an seine neue Show natürlich noch nicht befriedigen können. Aber seine Fragerunde zum Thema „Haben wir auf den Terror richtig reagiert?“ hatte am 11. September zehn Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington einen passenden roten Faden.
Losgelegt hat den Faden die New Yorkerin Marcy Borders, die vor den zusammenbrechenden Twin Towers floh und als „Staubfrau“ (Dust Lady), in gelbem Staub durch die Straßen irrte. Ihr Foto wurde zur Ikone des Schreckens. Ein Mensch am Anfang, ein gutes Konzept für eine Terrordebatte. Frau Borders trank, nahm Drogen, wurde therapiert. „Ich habe den Sieg davongetragen“, sagte sie. „Mich habt ihr nicht gekriegt.“ Das ist Emotion pur. Aber Jauch bleibt entspannt, kein Betroffenheitsnachfragen, wo’s nicht not tut. Kein dickes Pathos.
Der ehemalige deutsche Nationaltrainer Jürgen Klinsmann durfte bezeugen: „Das war für den Amerikaner neu, dass er attackiert wurde. Der Amerikaner ist gewohnt, mit Problemen umzugehen. Mit dem 11. September tut sich der Amerikaner heute noch schwer.“
Die Autorin Elke Heidenreich, eine bekennende Afghanistan-Kriegsgegnerin, sagte: „Harald Schmidt hat mich gerettet. Am 11. September hatte ich einen Termin in seiner Sendung. Ich wäre noch länger in New York geblieben.“
Der Vorstandschef der Axel Springer AG, Dr. Mathias Döfpner, sagte, was er am 11. September tat: „Ich war mit dem Essenszuschuss der Springer-Kantine beschäftigt. Es ging um 5,80 Euro.“ Man habe sofort gespürt, dass es ein Angriff auf „unseren Lebensstil“ war. Döpfner fragte sich: „Was ist mit der Sicherheit der Hochhäuser in Hamburg, in Berlin?“
Der Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) lieferte Erhellendes aus dem Machtzentrum im Bundeskanzleramt: „Die Stimmung im Kanzleramt war wie beim Normalbürger. Wir wussten erst auch nicht mehr.“ Dann sei im kleinen Kreis das Wort von der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA gefallen.
Der Publizist Jürgen Todenhöfer sagte: „Wer mit den Amerikanern nicht erschüttert war, hat kein Herz. Aber das gilt nicht, wenn man Tage später dann falsche Entscheidungen trifft.“ Todenhöfer meinte die Entscheidung zum Afghanistan-Einsatz, der nach seiner Ansicht hätte revidiert werden müssen. Döpfner wandte ein: „Ich bin als Pazifist erzogen worden. Mein Vater hat im Zweiten Weltkrieg verkohlte Leichen aus den Trümmern gezogen. Aber nach dem 11. September musste man etwas tun. Als Deutsche haben wir gelernt: Nie wieder Krieg, nie wieder Intervention unter deutscher Führung. Aber um Terror zu verhindern, mussten wir nach dem 11. September etwas tun.“ Todenhöfer schlug vor: „Man hätte Spezialeinheiten schicken müssen anstatt Bomber.“
Autorin Heidenreich meinte: „Die Anschläge haben nicht direkt mit Afghanistan zu tun, nichts mit dem Irak. Ich denke, man darf nicht auf Terror mit terroristischen Methoden reagieren.“
Jauch macht zwischendurch bereits den Faktencheck, schneller als Frank Plasberg (immer erst am nächsten Morgen), bietet 60 Sekunden Info-Filmchen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. So kommen keine Behauptungen von Mitdiskutanten auf, die niemand überprüfen kann. Er lässt alle populären Thesen, und seien sie noch so schräg, von den Teilnehmern diskutieren. Sind die USA nach dem 11. Spetember in die Falle gelaufen? Döpfner sagt ja. „Die Amerikaner sind in die Freiheitsfalle gelaufen.“ Wie reagiert man auf den Terror, die laufende Frage des Abends? Döpfner sagte: „Man kann es mit Mitteln des Rechtsstaates und der Freiheit tun. Oder mit den Mitteln ihrer Feinde. Sie können die Mittel von Freiheit und Demokratie verraten. Das haben die USA in Guantanamo getan. In diese Falle sind sie getappt. Die Konsequenzn sind schrecklich. Nur: Aus diesem Dilemma kann man sich nicht leicht herausziehen.“ Die Bedrohung aus dem islamistischen Terror sei ernst zu nehmen.
Todenhöfer entgegnete: „Aber in der arabischen Revolution in diesem Jahr hat al-Qaida keine Rolle gespielt.“
Jauch erdet seine Gäste immer wieder, zeigt das „Time“-Titelbild vom Mädchen mit der abgeschnittenen Nase. Er zeigt das Unfassbare und hängt den Terror des 11. September immer wieder zwischen die Stühle. Als wollte er sagen: „Ist keine Talkshow hier, sondern eine Sendung mit einer Botschaft.“ Todenhöfer erinnert an den Terror der US-Soldaten im Gefängnis von Abu Ghraib. Fußball-Trainer Klinsmann wirbt um Verständnis für die Mentalität der Amerikaner. Sagt aber: Als Soldat wäre er nicht nach Afghanistan gegangen. Jauch hatte ein altes Bild von Klinsis Bundeswehr-Zeit herausgekramt. Döpfner sagte, auch er hätte sich schwer getan, eine Entscheidung für einen Waffengang nach Afghanistan zu treffen. Aber: „Den Soldaten, die jetzt da sind, sollten wir unsere Unterstützung besser vermitteln.“
So war die Diskussion ohne Geschrei mit allen Positionen wie im Flug vergangen. Ob Jauch das immer gelingt oder nur beim Schreckens-Thema Terror?
Man fragt sich, was werden die Gremlins sagen? So nannte Jauch einst die Bedenken tragenden Flanellmännchen, die in den Gremien von Bayrischem bis Norddeutschem Rundfunk politisch ausgewogen diskutieren, ob Blau grüner ist als Gelb. Jauch, das werden die ARD-Oberen festhalten, ist ein guter Einkauf. Eine neue Farbe am erblassten Tatort nach dem Tatort. (abendblatt.de)