Ab September sendet die ARD fünf Talkshows die Woche. Günther Jauch darf am Sonntag anfangen. “Hart aber fair“ kann am Montag nur nachziehen.
Berlin. Inhaltliche Bereicherung oder Einheitsbrei? Diese Frage drängt sich auf, wenn man den neuen Programmplan der ARD mit fünf Talkshow-Runden in einer Woche betrachtet. Dazu hat der Journalist Bernd Gäbler, von 2001 bis 2004 Leiter des Adolf-Grimme-Instituts in Marl, jetzt ein Buch unter dem Titel "...und unseren täglichen Talk gib uns heute" veröffentlicht. "Absurd“. Mit diesem Zitat leitet er sein Buch ein. "Absurd“ hat auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Gespräch mit Gäbler Ende Mai die Entscheidung der ARD genannt, ab Ende August fünf Tage die Woche einen Talk ins Abendprogramm zu hieven. Ein Overkill, eine Inflation? Wem nützt das? Wer kommt durch?
Die „Pole Position“ räumt Gäbler dem TV-Routinier und ARD-Neuzugang Günther Jauch ein. Jauch habe alle Sehgewohnheiten auf seiner Seite. Außerdem gehöre er selbst unbedingt zur TV-Prominenz. Die Menschen sähen ihn und seine Programme gern. Viele trauten ihm zu, sowohl seriöse Informationssendungen moderieren zu können wie unterhaltsame Shows. Der programmliche Vorlauf durch den „Tatort“-Krimi mit gewöhnlich etwa acht Millionen Zuschauern spreche für den neuen Talkmaster.
Schlecht trifft es nach Gäblers Ansicht Frank Plasberg („Hart aber fair“), der infolge des Bäumchen-wechsle-dich-Spiels von Mittwoch auf den Montag nach Jauch ausweichen muss. „Was aber soll sich vom Sonntag auf den Montag groß verändert haben?“, fragt der Autor. „Soll plötzlich ein ganz neues Thema die Menschen aufrütteln? Warum sollte ein verantwortlicher Politiker am Montag in eine Sendung gehen, wenn er bereits am Sonntag einem großen Publikum alles Wichtige verkünden kann?“
Sandra Maischberger, die den Dienstag behält, ist von den Veränderungen nicht betroffen. Umso mehr Anne Will, die wegen Jauch von Sonntag auf Mittwoch weichen muss. „Sie muss nun am Mittwoch zeigen, ob sie dort ähnlich gut zurechtkommt wie vor ihr 'Hart aber fair„“, schreibt Gäbler. „Es wird sich auch zeigen, wie sehr sie bisher vom 'Mitnahmeeffekt' durch den 'Tatort' profitiert hat. Jetzt muss sie ihre Sendung aus eigener Kraft stemmen.“ Ihr drohe noch Gefahr wegen der Champions-League-Konkurrenz auf Sat.1 am Mittwoch.
Reinhold Beckmann, der von Montag auf den Donnerstag wechseln wird, verfügt laut Gäbler jetzt schon über genügend eigenes Profil, um sich von den übrigen Gesprächssendungen abzuheben. „Damit wird 'Beckmann' vermutlich auch am Donnerstag bestehen können, obwohl der Sendeplatz ungünstiger ist als bisher der Montag“, da die Sendung von Herbst an in direkter Überschneidung mit „Maybrit Illner“ im ZDF ausgestrahlt werde.
Talk-Karussell beginnt: Anne Will zum letzten Mal sonntags
Gäbler untersuchte zwischen dem 15. März und 15. Juli Deutschlands größte Talks, allesamt im öffentlich-rechtlichen TV. Sein Fazit: Meist würden in den Talkshows jene Themen debattiert, die ohnehin schon in aller Munde seien. Ganze Felder der gesellschaftlichen Wirklichkeit würden weitestgehend ausgeklammert: die Außenpolitik, die Welt des Internets und der Computer sowie große Teile des Arbeitslebens. Neues werde nicht entdeckt. Meist diskutierten Menschen, die man aus dem Fernsehen schon kenne.
Es gebe wichtige gesellschaftliche Akteure, die fast gar nicht vorkämen wie zum Beispiel die Dax-Vorstände. Das Wichtigste an den Gästen sei: Sie müssten im Fernsehen „gut funktionieren“, schlagfertig sein und meinungsstark. Sachkompetenz sei demgegenüber zweitrangig, wichtiger dafür der Unterhaltungswert. Der tatsächliche gesellschaftliche Wandel gehe weitgehend an den Talkshows vorbei. Der Erfolg messe sich an der Quote, nicht daran, ob ein Problem sachgerecht erörtert worden sei. Und mancher Politiker, der die TV-Bühne meidet, ärgere sich über das „Ersatzparlament“ TV-Talk, in dem mehr gequatscht wird als im Bundestag.
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann hat bereits Stellung bezogen: In einem von der Tageszeitung „Die Welt“ am Montag veröffentlichten Streitgespräch mit Gäbler sagte Baumann, dass mit Talkshowgästen bestimmte Erwartungshaltungen verknüpft seien. „Es gibt aber keine festgelegte Rollenverteilung. Wir machen hier nicht Scripted Reality“. Angesprochen auf Gäste, die Talks mieden, meinte der Chefredakteur, dass die ARD versucht habe, während der Euro-Krise hochrangige Banker einzuladen. „Keiner jedoch wollte sich dem Publikum stellen. Wir stehen dann vor der Alternative, auf ein Thema gänzlich zu verzichten.“
Talks, das wissen viele, sind für viele Menschen ein Marketingtool. Wer eine Platte besungen hat, hält sie vor die Kamera. Wer als Politiker eine Parole zu verkünden hat, glaubt das vor drei Millionen Menschen besser zu tun als in einer Zeitung oder im Buch. Talks über Talks gibt es im Fernsehen nicht. Dann würde da vielleicht auch Bernd Gäbler sitzen, um über sein Talk-Buch zu reden. So bleibt seine stärkste Waffe, um seine Meinung über den Plauder-Tourismus zu verkünden, das Buch.