Berlin . Claus Peymann ist Intendant des Berliner Ensembles. Drei Inszenierungen von ihm sind auf dem Hamburger Theaterfestival zu sehen.

Claus Peymann, 78, ist immer für einen überraschenden Satz gut. Seit 1999 und noch bis 2017 ist er der streitbare Theaterintendant des traditionsreichen Berliner Ensembles. Zuvor war der Sohn eines Bremer Lehrers, der in Hamburg studierte, nach Stationen in Stuttgart und Bochum 13 Jahre lang Intendant des Wiener Burgtheaters. Beim diesjährigen Hamburger Theaterfestival ist das Berliner Ensemble gleich mit drei Inszenierungen vertreten, Peymanns „Richard II.“, George Taboris „Die Juden“ und „Faust 1 + 2“, ein Gemeinschaftswerk von Robert Wilson und Herbert Grönemeyer. Ein Gespräch über unfähige Kulturpolitiker, die Zukunft des Theaters und Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Peymann, Sie haben sich mal als Bremer und Hanseat bezeichnet. Was verbindet Sie mit Hamburg?

Claus Peymann: Ich wäre eigentlich der ideale Theaterdirektor für Hamburg gewesen. Einmal lag sogar schon ein Vertrag auf dem Tisch des Hotels Vier Jahreszeiten. Aber plötzlich dachte ich, ich passe zu gut nach Hamburg – und bin deshalb dann doch lieber nach Wien gegangen. Aber wer weiß, wenn ich mal alt werde – da erwäge ich ernsthaft, nach Blankenese zu ziehen.

Gehen Sie regelmäßig in die Hamburger Theater? Was halten Sie davon?

Peymann: Ich bin dem Thalia Theater sehr verbunden. Wer immer da rumturnt – mal besser, mal schlechter –, irgendetwas ist an dem Theater so stabil, dass man es mag – und gleichzeitig wahnsinnig werden könnte. Am Schauspielhaus bin ich weniger zu Hause.

Warum? Interessiert Sie das Theater von Karin Beier nicht?

Peymann: Nein. Aber das Schauspielhaus ist schon etwas sehr Spezielles. Ich habe damals Karin Beier gesagt, ich glaube nicht, dass sie das hinbekommt. Das Schauspielhaus zu verstehen, das hat seit Gustaf Gründgens keiner mehr geschafft. Diese Mischung zwischen hanseatisch klassischem Elitedenken und der Sehnsucht nach ganz anderen, großen Erlebnissen: Festort und Amüsierbude zugleich. Amüsierbude alleine reicht da nicht. Aber auch ja nicht zu viel Literatur! Die Hamburger suchen auch immer ihre Stars, den Kult um ihre Helden. Hier muss man Theater in einer Distanz und Nähe betreiben. Ganz groß – und trotzdem sehr nahe. Ich glaube, ich hätte ... (er schweigt)

Auf Ihrem Spielplan findet sich ja vor allem klassische deutschsprachige Literatur.

Eine Szene aus der „Faust“-Inszenierung des Berliner Ensembles, in Hamburg am
Eine Szene aus der „Faust“-Inszenierung des Berliner Ensembles, in Hamburg am © Lucie Jansch | Lucie Jansch

Peymann: Die Theater, die ich geleitet habe, waren immer Theater der Schauspieler, der Literatur und der Aufklärung. Und so ist auch das Berliner Ensemble ein Theater der Aufklärung, es steht in der Tradition Bertolt Brechts und Heiner Müllers. Dem fühle ich mich verpflichtet. Hier sehen Sie noch die ganzen Stücke. Regisseure müssen die Theaterdichter hier nicht verbessern. Man könnte sagen, es gibt zudem eine gewisse Video- und Lautsprecherabstinenz. Stücke für Erwachsene, Zeitgenossen eben.

Mit der Berliner Kulturpolitik sind Sie ja sehr unzufrieden. Unlängst haben Sie Kulturstaatssekretär Tim Renner in der Diskussion um die Neubesetzung der Volksbühnenintendanz als „leeres weißes Hemd“ bezeichnet. Beobachten Sie auch die Hamburger Kulturpolitik?

Peymann: Ich schätze Kultursenatorin Barbara Kisseler sehr. Ich habe verzweifelt versucht, sie nach Berlin zurückzulocken. Wir haben hier das Pech, eine Fehlbesetzung nach der anderen in der Kulturpolitik zu haben. Aber darüber habe ich schon so viel geschimpft, das wird selbst mir langsam langweilig...

Die Debatte hat ja große Wellen geschlagen um die Nachfolge der Volksbühnenintendanz und auch des Berliner Ensembles mit Oliver Reese. Sie sprachen von einer „Dämmerung der Lebenszwerge“, die heranbräche. Die Titanen hätten abgewirtschaftet. Warum ist das aus Ihrer Sicht so?

Peymann: Wir Theaterleute haben vielleicht selbst Schuld, dass wir so lächerlich sind. Ich empfinde mich zwischen all den hippen und flippigen Jungstars, die dauernd in den Zeitungen hochgepusht werden, als ein anachronistisches Mammut. Aber ich weiß, dass unsere Stunde geschlagen hat. Ob das Theater in der einzigartigen Form wie wir es kennen, erhalten werden kann, bezweifle ich. Aber so viel weiß ich: Wer das Theater nicht ernst nimmt, es verjuxt oder eben abbaut, dichtmacht, wegrationalisiert, der zerstört kulturelle Umwelt. Ich glaube an das Theater.

Warum wird Ihrer Meinung nach ohne Literatur das Theater systematisch vernichtet?

Peymann: Man schädigt die Literatur, indem man seine kleinen Regieideen für wichtiger hält als das Original, als etwa Kleist. Diese Eitelkeit und Ignoranz macht das Theater schwach und verwundbar. Die Geier haben leichte Hand, uns zu zerstückeln und – alle haben zu viel Angst. Es gibt so wenig Wut und Zorn; die zornigen (alten) Männer danken ab. Aber vielleicht ist es heute auch schwer, den Feind zu entdecken. Was soll ich gegen Kanzlerin Angela Merkel haben? Die ist ein nettes Muttchen. Sie kommt übrigens häufig zu uns ins Theater.

Ihre Art zu inszenieren gilt allgemein als eher klassisch.

Peymann: Man muss die Botschaft der großen alten Stücke für die Gegenwart erkennen. Dafür müssen Stücke nicht zerstört werden. Unser „Richard II.“ ist total heutig, obwohl meine Inszenierung inzwischen 15 Jahre alt ist. Da erkennt man, wie einem Politiker die Schuhe zu groß sind und was dann die nette Gesellschaft mit ihm macht. Wir sind doch heute eine Gesellschaft von Saubermännern wie Richards Gegenspieler Bolingbroke: Dreck am Stecken, aber ganz smart und volksnah! Das versteht im Publikum heute jeder. Diese Überforderung der Politiker kennen wir doch! Und wenn das klassisch ist – prima, nur zu!

Was sagen Sie all jenen, die Ihnen vorhalten, mit Ihrer Verweigerung neuer Formen ein Museum zu betreiben?

Peymann: In manchen Zeiten ist das Museum vielleicht eine lebenswichtige Insel, ein Rückzugsort, eine Enklave der Erinnerung, des Bewahrens. Im Moment ist der Werteverlust so rasend, so gewaltig in der Gesellschaft und in der Politik, dass ein Aufhalten Aufgabe eines Museums sein kann. Das Museum als Ort der Klarsicht, der Erkenntnis des Blicks für eine andere Zukunft, aus der Vergangenheit heraus. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Das Alte wird eines Tages das Neue sein – also bin ich die wahre Avantgarde!

Sie haben 15 Stücke von Thomas Bernhard uraufgeführt, zehn von Peter Handke, auch Stücke von Peter Turrini und Elfriede Jelinek. Fehlt den meisten Ihrer Kollegen heute der Mut, etwas Vergleichbares zu tun?

Peymann: Es fehlt uns allen die überzeugende Theaterliteratur, die sich nicht mit dem eigenen Bauchnabel befasst, sondern einen größeren, weiteren Horizont eröffnet, Utopien spinnt – und anprangert. Und vor allem nicht das Herumtoben feiert – oder den Dilettantismus. So landen wir immer wieder bei Handke – und Brecht. Oder eben auch bei George Tabori, der an unserem Haus ja wirklich zu Hause war. Er hat aus seiner Lebensgeschichte heraus – Jude, geboren in Ungarn, Emigration, Amerika, die große Welt ... – an unserem Theater seine Stimme zum Klingen bringen können. Es ist schön, dass seine zwölf Jahre alte Version von Lessings „Die Juden“ jetzt in Hamburg zu sehen ist. Gleiches gilt für den „Faust“, ein Stück über die extreme Modernität der deutschen Klassik.

Das Theater steht heute in großer Konkurrenz zu den neuen Medien.

Peymann: Sicher, aber wir sind hier im Berliner Ensemble eine geheimnisvolle Zauberbude. Wir sind wahrscheinlich eine Insel der Seligen. Theater kann ins Herz treffen. Es ist wie eine Waffe, mit der man schießen kann und gewinnen. Diese Erfahrung ist Ausgangspunkt meiner großen Klappe.

Was macht einen guten Schauspieler wie Ihren „Richard“-Darsteller Michael Maertens aus?

Peymann: Ich glaube: Ein Blick genügt! Aber vielleicht ist es auch eine große Sehnsucht. Ich bin gerne mit großen Kindern zusammen. Maertens ist auch ein großes Kind. Dieser merkwürdige Kindergarten, den die Gesellschaft bezahlt, damit diese Spieler ihr einen Traum einer besseren Zeit vorgaukeln, diese Bereitschaft, diesen Traum zu träumen, da mitzugehen, das ist ein anderes Leben.

Was macht einen guten Theaterdirektor aus?

Peymann: Ich bin ein Bremer Dickkopf. Unelegant, aggressiv, ungeduldig. Ich habe alle schlechten Eigenschaften, die zusammen einen guten Theaterdirektor ausmachen.