Hamburg. Lydia Steier zeigt Händels Oratorium „Jephtha“ beim Hamburger Theaterfestival als eindringliches Drama gegen Krieg und Hass.

Eigentlich müsste Jephthas Brust vor Stolz platzen. Schließlich hat der israelitische Feldherr die Ammoniter vernichtend geschlagen. Doch er kehrt nicht als strahlender, sondern als traumatisierter Held zurück. Wirft seinen Helm zu Boden, bricht entkräftet zusammen und verbirgt den Kopf in den Armen. So dekonstruiert Tenor Lothar Odinius den Triumph des Jephtha – sensibel geführt von Regisseurin Lydia Steier, die das gleichnamige Oratorium von Händel vor zwei Jahren in Potsdam auf die Bühne gebracht und nun beim Theaterfestival in Hamburg auf Kampnagel präsentiert hat.

Steier formt aus dem alttestamentarischen Stoff ein eindringliches musikalisches Drama gegen Krieg, Propaganda und Hass. Als die Israeliten ihren Sieg feiern wollen, bricht Steier aus Händels feinfarbiger Klangwelt aus und lässt die Kampnagel-Bühne unter Flugzeug- und Bombenlärm derart erbeben, dass einem der Schreck in die Glieder fährt. Der Kampf hat natürlich seinen Preis. „Eine Schlacht mit 20.000 Toten. Davon 7000 Minderjährige. Und mehr als 100.000 obdachlose Siedler“, rechnet der Sprecher unbarmherzig vor.

Detailfreudige Choreografie

Indem Lydia Steier diese Figur zum Oratorium hinzudichtet, schafft sie eine neue Reflexionsebene und fördert die düsteren Subtexte des Stücks zutage. Der Sprecher benennt die zeitlos harten Wahrheiten des Krieges und die menschlichen Schwächen; erbarmungslos erinnert er Jephtha an dessen Schwur: „Du hast einen Deal!“ Der verpflichtet Jephtha, nach der siegreichen Heimkehr das erste Wesen zu opfern, das ihm entgegenkommt. Es ist, zu seinem großen Entsetzen, die eigene Tochter Iphis.

Christian Ballhaus gibt den Sprecher als ergrauten Professor mit Oberlehrerton und Tweedanzug und fügt sich damit ins Gesamtsetting: Die Regisseurin verlegt die Handlung in ein altmodisches Klassenzimmer mit einem langen Studiertisch als Blickfang in der Mitte der Bühne. Er teilt das Publikum in zwei Hälften und rückt es damit zugleich näher ans Geschehen heran.

An und auf diesem Tisch, der wie eine Art Laufsteg fungiert, demonstriert Lydia Steier ihren Ideenreichtum und ihr handwerkliches Können: mit der detailfreudigen Choreografie der Choristen der Potsdamer Winteroper als wuselige Schülerschar, mit dem Auftritt des Engels als blondes Barbiepüppchen – genau so unecht wie das aufgesetzte Happy End – aber auch mit der ergreifenden Verzweiflung des Jephtha, der an der Aufgabe, seine Tochter opfern zu müssen, spürbar zerbricht.

Kleine Probleme sind gut zu verschmerzen

Lothar Odinius gelingt eine packende, sehr authentische Darbietung der Hauptfigur, auch wenn (oder vielleicht gerade weil?) ihm die Strapazen der Partie am Ende stimmlich anzumerken sind. Er führt ein rundum überzeugendes Solistenensemble an, mit vorzüglichen Sängern wie Katja Stuber als herzensreine Tochter Iphis, Magid El-Bushra als deren Verlobter Hamor oder Maria Streijffert als Jeph­thas Frau.

Dirigent Konrad Junghänel und seine Kammerakademie Potsdam spielen sehr lebendig und kosten den Reichtum von Händels Meisterwerk aus, sitzen allerdings etwas abseits, am äußeren Ende der Bühne. Obwohl die Inszenierung immer sehr nahe an der Musik dranbleibt, gerät der Kontakt zwischen Orchester und Sängern durch die Entfernung mitunter ins Wackeln. Aber solche kleineren Probleme sind gut zu verschmerzen – in Anbetracht der Dichte und mitunter beklemmenden Intensität des Abends.