Hamburg. Seit 1987 können Künstlerinnen in einem Hinterhaus in Hamburg unter sich proben und sich vernetzen. Die Nachfrage ist groß.

Ganz vorn zu stehen, das ist Silvia Torneden gewohnt. Bei ihrer Punkrockband Bullshit Boy ist sie als Bassistin zusammen mit einer Gitarristin für den Gesang zuständig. „Female fronted“ werden solche Gruppen genannt, bei denen Frauen nicht nur als Sängerinnen den Ton angeben.

Aber wenn es bei Konzerten um die Tontechnik geht, werde doch meist ihr Schlagzeuger angesprochen. „Das sind so Kleinigkeiten, an denen man aber merkt, dass das überhaupt noch nicht im Gleichgewicht ist“, sagt Torneden (50) im Podcast „Komplizen für die Zukunft“.

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Und es zeige auch, dass eine Einrichtung wie das Frauenmusikzentrum (FMZ), das sie leitet, weiterhin dringend benötigt werde. Seit 1987 können Frauen in einem Hinterhaus in Hamburg-Ottensen proben, sich austauschen und vernetzen, ohne dass ihnen Männer dazwischenkommen. Vor einigen Jahren hat sich die Einrichtung auch für FLIN­TA* geöffnet: ein Sammelbegriff für alle, die nicht selbst – entsprechend ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht – als männlich definieren.

Frauenmusikzentrum in Hamburg ist noch immer einzigartig

Denn sobald Männer im Raum sind, sei die Dynamik eine andere, sagt Tutku Kaplan (37), die als DJ arbeitet und sich im FMZ um die Veranstaltungsorganisation kümmert: „Frauen, die sich generell in gemischten Räumen eher im Hintergrund aufhalten würden, öffnen sich uns gegenüber und können sich freier entfalten, das spürt man richtig.“

Wer einen der fünf Proberäume des FMZ nutzen will, muss in den Verein eintreten. 110 Mitglieder zählt der aktuell, von Punkbands bis zur Opernsängerin seien alle Genres vertreten. Es könnten noch viel mehr Mitglieder sein. „Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt Torneden. Andere feste Einrichtungen dieser Art gebe es nicht. Kürzlich sei sie sogar von einer französischen Künstlerin angesprochen worden, die in ihrer Heimat etwas Vergleichbares aufbauen wolle.

Im Frauenmusikzentrum proben 110 Künstlerinnen – hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2012.
Im Frauenmusikzentrum proben 110 Künstlerinnen – hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2012. © HA / A.Laible | Andreas Laible

Frauen in der Musik lauter und sichtbarer zu machen: Dass das weiter dringend nötig ist, lässt sich auch statistisch belegen. Ob in den Single-Charts, bei den an die Gema gemeldeten Werken oder auf Festivals: In allen Bereichen betrug der Frauenanteil in den 2010er-Reihen nicht einmal ein Fünftel, wie eine Studie der MaLisa-Stiftung ergeben hat.

Comedian Carolin Kebekus prangerte das Missverhältnis im Line-up des Festivals Rock am Ring öffentlich an und stellte 2022 kurzerhand ein eigenes Festival nur für Musikerinnen auf die Beine. Und siehe da: Im vergangenen Jahr steigerte Rock am Ring den Frauenanteil erheblich.

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Silvia Torneden reicht das nicht. Auch dass die Frauen bei den diesjährigen Grammy Awards die wichtigsten Musikpreise nur so abgeräumt haben, dürfe nicht über die strukturelle Benachteiligung hinwegtäuschen: „Es gibt diese Ungerechtigkeiten noch.“

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Die studierte Kulturmanagerin Torneden kann zwar nachvollziehen, dass Kollegen männlich dominierte Bands bevorzugen, wenn die einen höheren Bekanntheitsgrad haben. „Aber das Argument, dass es ja leider nicht so viele Frauen gibt, stimmt nicht. Frauen oder Flinta*-Personen in der Musik gab es immer, aber sie sind zu wenig sichtbar. Dieses Defizit wollen wir aufbrechen und gegensteuern.“

Frauenmusikzentrum will Austausch fördern

Um mehr Frauen auf die Bühne zu bekommen, braucht es auch mehr hinter der Bühne. Ihnen die Regler in die Hand zu geben, sie für Technik zu interessieren und entsprechend fortzubilden, auch das ist ein Anliegen des FMZ. Und werde gut angenommen: Die DJ-Workshops seien immer ausgebucht. In einem „Übungsspace“ können sich DJs zudem austauschen und gemeinsam an Auftritten arbeiten. Tutku Kaplan ist auch das wichtig: „eine Community zu haben, in der wir uns gegenseitig unterstützen und nicht in Konkurrenz zueinander sehen“.

Zu tun gibt es für Silvia Torneden und Tutku Kaplan also genug. Doch von ihrer Tätigkeit im Frauenmusikzentrum kann keine der beiden leben. Torneden ist an den Wochenenden ebenfalls durchgetaktet – als Krankenschwester auf einer Intensivstation.

Welche bekannten Künstlerinnen schon im Frauenmusikzentrum geprobt haben, wie man Mitglied werden kann und zu welchen Gelegenheiten auch Männer willkommen sind, erzählen Silvia Torneden und Tutku Kaplan im Podcast.