Hamburg. Nach Griegs Klavierkonzert wird Lang Lang gefeiert. Der spielte wie so oft hervorragend, aber nicht übermenschlich makellos.
Ouvertüre – Solokonzert – Sinfonie: Es ist einfach unverwüstlich, das überbrachte Muster für Sinfoniekonzerte. Dabei darf sich das Programm gern aus den gängigen Epochen Klassik und Romantik rekrutieren. Innerer Zusammenhang zwischen den Werken, warum nicht? Muss aber nicht sein. Die Reihe ProArte hat diese Konvention mit dem Auftritt von Christoph Eschenbach und dem National Symphony Orchestra Washington in der Laeiszhalle mal wieder perfekt bedient. Mitsamt der Schwäche, dass ein roter Faden im Programm so recht nicht erkennbar war. Stattdessen entwickelte der Abend seine eigene Dramaturgie, er nahm auf eine Weise Fahrt auf, die so womöglich nicht beabsichtigt war.
Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre zu Beginn ließ Fragen offen. Etwa die, warum der gute alte Wagner so blechern klang. Ob’s daran lag, dass die Musik ausnahmsweise mal nicht aus dem Graben ertönte oder gar gedeckelt wie im Bayreuther Festspielhaus, sondern von der offenen Bühne? Jedenfalls meinte man jede Geige einzeln vibrieren zu hören, der Streicherklang verschmolz nicht, den Hörnern fehlte die Aura, und den choralartigen Beginn der Bläser trübten hier und da Unreinheiten. Vom süchtig machenden wagnerschen Klang-Amalgam keine Spur. Schnurstracks geradeaus galoppierten Eschenbach und die Seinen. Und statt an die Abgründe geführt zu werden, die die Oper verhandelt und die sich in der Ouvertüre schon andeuten, fürchtete der Hörer immer mal, das Glasdach über dem Großen Saal könnte gleich davonfliegen wegen der puren Lautstärke.
Höflicher Beifall. Aber das Publikum war ja offenkundig ohnehin hauptsächlich wegen des Solisten in Griegs Klavierkonzert gekommen: Lang Lang, der vermutlich bekannteste Pianist der Welt. Nicht ganz einfach, das Raunen auszublenden, das einen Superstar wie ihn umgibt, die Hochglanzbilder zu vergessen, mit denen er für Luxusartikel wirbt, und über seine exaltierte Körpersprache hinwegzusehen, hier eine Hand, die er taktelang oberhalb der Tastatur vergessen zu haben schien, und dort ein Sichzurückwerfen, als müsste er ein Kaltblütergespann bremsen.
Aber wenn man all das Gewese abzog, blieb ein junger Mann übrig, der engagiert und kraftvoll Musik macht und zweifellos so hervorragend Klavier spielt wie viele andere auch, die nur nicht das Glück hatten, mit dem rechten Image zur rechten Zeit am rechten Ort für eine Weltkarriere zu sein. Hervorragend ja, aber nicht übermenschlich makellos. Den vollgriffigen Satz des Soloparts brachte Lang mit Energie herüber und so furchtlos gegenüber den hochvirtuosen Passagen, wie man es von einem Tastenlöwen seiner Größe erwartet. Manch mehrstimmigen Lauf vernuschelte er jedoch, über anderes breitete er großzügig einen Pedal-Teppich.
Der wahre Star des Abends zeigte sich nach der Pause
Der Musiker in Lang war in den zarteren Momenten zu spüren. Während sein vertikaler, fast bruitistischer Forte-Anschlag dem Klavier keine Chance ließ, von selbst zu klingen, entlockte Lang dem Instrument eine Reihe duftiger Piano-Nuancen. Mit Eschenbach und dem Orchester schien er sich seismografisch zu verständigen, bis in die feinsten Momente des Innehaltens hinein. Der Dirigent erwies sich wieder einmal als Begleiter von einer Aufmerksamkeit, die ihresgleichen sucht, und die Musiker fanden zu einer Wärme und Variabilität des Klangs, als läge ihnen Griegs Tonsprache einfach mehr als die Wagners.
Das Publikum feierte Lang, aber es ließ sich auch wieder beruhigen. Nur leider nicht gänzlich. Weshalb die impressionistisch winddurchhauchte Zugabe „The Dance of Coral“ von Du Mingxin von einem durchgehenden Gemurmel, Geraschel und Geräusper unterlegt wurde, das an Respektlosigkeit grenzte.
Wer der wahre Star des Abends war, das zeigte sich nach der Pause. Da setzten Eschenbach und das Orchester Beethovens Siebte unter Strom, dass einem immer wieder der Atem stockte. Den kräftigen, hellen, leicht metallischen Klang des Orchesters formte Eschenbach wesentlich homogener als zuvor bei Wagner. Seine schier überbordende Energie verdankte dieser Beethoven einer Unerbittlichkeit des Rhythmus, die Eschenbach schon doch so tänzerisch bewegten ersten Satz etablierte.
Eschenbach wäre nicht Eschenbach, wenn er der Musik ob dieser kristallinen Strenge das Atmen versagt hätte. Ein ganzer riesiger Organismus pulsierte da. Die Motive blitzten und funkelten nur so durch das Orchester, die Holzbläser klagten leise und intim, die Hörner bliesen souverän ihre turmhohen Passagen. Und die auf- und absteigenden Halbtöne am Ende des letzten Satzes wickelten die Bässe im Untergrund des scheinbar so heiteren Themas so bedrohlich und entschieden auf, als käme da eine Riesenschlange daher. Oder gleich ein Drache? Vielleicht gar einer von Wagner? Das wäre dann eine wahrhaft raffinierte Anknüpfung an das erste Werk des Abends gewesen.
Man spricht bei Beethovens Siebter gern von Grazie. Sicherlich. Aber was hier erklang, war die Essenz des beethovenschen Geistes. Großer, anhaltender Jubel.