Hamburg.

Es gibt Klassik-Puristen, bei denen rangiert Tschaikowsky in der Kategorie „Kitsch“. Christoph Eschenbach und das Schleswig-Holstein Festival Orchester haben allerdings in der Laeiszhalle soeben einen Komponisten vorgestellt, dem von Oberflächlichkeit so gar nichts anzumerken war.

Tschaikowskys erste Sinfonie wird eher selten gespielt. Sie ist nämlich, das machte in Eschenbachs intelligenter Lesart den Reiz aus, ein Zwitter. Überbordend und schwelgerisch, so kennen wir unseren Piotr Iljitsch! Einerseits. Andererseits schimmerte durch die Tonmalereien (ein Extralob für die unisono, blitzsauber und tonschön vorgetragene Horn-Kantilene im langsamen Satz) eine Struktur hindurch, die an Beethovens „Fünfte“ erinnerte mit ihren thematischen Verweisen und ihren Fugato-Stellen.

Faszinierend, dieser Blick über die Schulter eines jungen Komponisten. Dass Eschenbachs Dirigiertechnik ihm nur bedingt erlaubte, den Laden zusammenzuhalten, wenn der mal ins Schwimmen geriet, machte er mit seiner Inspiration mehr als wett. Nach der Pause lotsten die Künstler das Publikum durch eine stark eingedampfte Fassung von Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“. Das war reife, psychologisch tiefschürfende und hochdramatische Musik, vom Orchester mit Verve dargeboten. Die Geigen erwischten nicht alle Spitzentöne? Verzeihlich bei einem Jugendorchester.

Es spricht für die Lebendigkeit des Spiels, dass man stets wusste, worum es gerade ging, mochte auch das Russische einige Hürden bereithalten. Auch für den Tenor Daniel Behle. Der war ein wohlklingender Lenski, buchstabierte sich aber allzu sehr durch die Noten. Markus Eiche lieh seinen agilen, hell timbrierten Bariton dem Onegin und agierte wesentlich überzeugender. Und wie die Sopranistin Michaela Kaune als Tatjana in der Briefszene die seelischen Winkel ihrer Figur auslotete, das war ergreifend gestaltet, stimmlich aber nicht immer mit letztem Ebenmaß.

Ein großer Abend. Ohne jeden Hauch von Kitsch.