Hamburg. Das Hamburger Abendblatt führte ein fiktives Gespräch mit Komponist und Dirigent Gustav Mahler über die Musikstadt Hamburg.
Die Tonkünstler-WG in Michelnähe bekommt Zuwachs. Das KomponistenQuartier im historisch inszenierten Peterstraßen-Ensemble soll – nicht ganz synchron zur Elbphilharmonie-Eröffnung – von Frühjahr 2017 an weitere Untermieter aus der hiesigen Musikgeschichte beherbergen: Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Schwester Fanny sowie Gustav Mahler, der als Kapellmeister am Stadt-Theater sein Orchester sechs Jahre lang zur Weißglut brachte. Mahler war Wahlhamburger, bevor er sich 1897 durch das Tor zur Welt nach Wien verabschiedete, um große statt regionale Karriere zu machen. Der Komponist und Dirigent starb 1911 in Wien. Doch mit etwas Wissen über seinen ganz leicht cholerischen Charakter lässt sich erahnen, wie steil er seine Meinungen zum baldigen Gedenkstättenausbau formuliert hätte, der am 1. Juli beginnen soll.
Hamburger Abendblatt: Ein Platz in der Nähe der Colonnaden, ein Minipark neben der Spielbank, Büste und Gedenktafel in und an der Staatsoper, ein Schildchen am ehemaligen Wohnhaus in der Bundesstraße – so arg viel war das hier ja bislang noch nicht, mit Ihrer posthumen Ehrung. Und für Mendelssohn? Ein Denkmal mit einer falschen Note.
Gustav Mahler: „Die Hamburger sind antimusikalisch.“ Stammt nicht von mir. Hat der Brahms mir in einem Brief geschrieben. Und der war von hier, aus dem Gängeviertel.
Sie sollen sich die rund 130 Quadratmeter zwischen dem spätbarocken Kollegen Hasse und Ihrem Dirigierstil-Fan Brahms teilen, mit Felix und seiner auch komponierenden Schwester Fanny Mendelssohn. Ist das als Gedenkstätte angemessen oder zu eng für ein Gottesgeschenk wie Sie?
Mahler: Jedes Museum, das man mir baut, kann nur zu klein sein. Und zu schlecht.
Originale wird man da weder von Ihnen noch von den anderen „Neuen“ zu sehen bekommen. Zu kostbar, zu teuer. Kopien, guter Wille und Ehrenamtliche statt Forschung und der Aura von Originalen.
Mahler: Meine Rede: Jedes Museum, das man mir baut, kann nur zu klein sein. Und zu schlecht.
In Ihrem Teil der Künstler-WG soll etwas entstehen, das an Ihr Komponierhäusl erinnert. Diese Methode, ab vom Schuss im Grünen an großen Sinfonien zu arbeiten, haben Sie zwar erst nach der Zeit in Hamburg perfektioniert, aber: egal. Oder?
Mahler: Mir graute es immer ordentlich, wenn ich in meinen Sommerferien an die Rückkehr dachte. Also warum nicht? Das mit dem Häusl für Hamburg ist dann eben musikgeschichtlich vorauseilende Bewunderung. Im Nachhinein ist man immer klüger. Selbst hier. Na gut: manchmal.
Das Thema Judentum verbindet Sie mit den Mendelssohns – obwohl Sie sich aus Karrieregründen im Kleinen Michel noch schnell katholisch taufen ließen, bevor es in die Chefetage der Wiener Hofoper ging.
Mahler: Was soll das denn jetzt heißen? Ich wollte das, ganz bestimmt! Lesen Sie das bei meiner Gattin Alma nach, na los, lesen Sie! „Er konnte an keiner Kirche vorbei, ohne hineinzugehen!“ Da haben Sie’s! Gehn’s mir aus dem Licht, Wicht!
Außerdem soll man auch etwas über Sie und die Hamburgerinnen vor Ihrer Frau erfahren können.
Mahler: War ja klar, dass Sie dieses längst verjährte Kantinengeschwätz interessiert. Ich und die von Mildenburg also? Die Anna war eine großartige Sängerin, eine ganz eine großartige. Deswegen hab’ ich sie ja auch für Wien engagiert. Und da waren wir ganz amtlich per Sie. So! Wicht!
Mendelssohn wurde 1811, mit zwei Jahren, durch den Familienumzug vom Hamburger zum Berliner, Karriere machte er vor allem in Leipzig, seine Geburtsstadt spielte da keine Rolle. Deswegen die hiesige Notwehr, auf allgemeinere Themen wie religiöse Fragen und Geschlechterrollen, Salons und Gärten auszuweichen.
Mahler: Tja. Besser als nichts. Aber ob das genügt?
Für das Präsentationskonzept im zweiten Bauabschnitt soll eine Immobilie in Sachsen-Anhalt Pate stehen, das Heinrich-Schütz-Museum im Weißenfelser Wohnhaus. Der Museums-Nachwuchs in der Peterstraße soll etwa 500.000 Euro kosten, Bauherr und wichtigster Finanzier ist die Carl-Toepfer-Stiftung. Private Geldgeber gibt es, aber es dürften – wie immer hier – gern mehr sein. Und die Kulturbehörde, die Ihre neue Heimat als „großen Gewinn“ bezeichnet, bezahlt nichts dazu, sondern übernimmt die laufenden Kosten.
Mahler: Wenn das nicht mehr wird, können die von der Stadt doch wieder eine Tombola machen. Beim Neubau der Staatsoper im letzten Jahrhundert funktionierte das auch. Und mit Loseverkaufen haben sich damals meine armen Stadt-Theater-Musiker was dazuverdient, weil unser Chef, dieser Wurm Pollini, sie so kurz gehalten hat. Und? Hat’s ihnen einen Zacken aus der Krone gebrochen? Sehen’s. Wicht!
10.000 Besucher in den bisherigen Gedenkstätten in der Peterstraße, davon rund 6000 bei Brahms. Und gerade mal 20 Prozent kommen aus Hamburg. Nur mal so zum Vergleich: Das Händel-Haus in Halle hat jährlich rund 29.000, das Bach-Museum in Leipzig 46.000 Gäste. Was sagt uns das, knapp ein Jahr vor Elbphilharmonie?
Mahler: 715 von mir dirigierte Vorstellungen in sechs Hamburger Theater-jahren. Was sagen Ihnen diese Zahlen? Ich sag’s Ihnen: Man müsste mal so richtig wollen, dann tät’s auch richtig klappen.
Erst nachdem Sie im Rest der Welt gefeiert wurden, merkte das Publikum (und Teile der Lokalpresse), was man hier an Ihnen gehabt hatte.
Mahler: „Er hat Mozart, Beethoven, Wagner dirigiert, aber es klang anders als sonst“, schrieb das „Fremdenblatt“ im Nachruf. Na bitte, das soll mir erst mal jemand nachmachen in Hamburg. Außerdem: Man braucht nicht dabei zu sein, wenn man unsterblich wird.
Ihre Meinung zum Hamburger Musikstadt-Ehrgeiz? Aber kurz, bittschön, und möglichst jugendfrei.
Mahler: Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche. Den Satz können Sie sich gern merken. Der ist von mir.