Hamburg. Der Bestsellerautor schnieft sich durch seinen #MeToo-Themenabend in der Markthalle: Alle Kräfte wurden mobilisiert – und auch gesungen.

Man hat dem Autor nur halb bewundernd attestiert, wie gut er sich auf Eigen-PR versteht. Auf Instagram orchestrierte Benjamin von Stuckrad-Barre anlässlich des Erscheinens seines Romans „Noch wach?“ eine imposant anzuschauende VIP-Reklame.

Gut gemacht, natürlich. Aber die Zurschaustellung eigenen Glamour-Vernetztseins? Das grelle Bewerben eines Buchs? Mann, verdächtig! Mindestens Kommerzmist. Und unfair allen Mitbewerbern gegenüber, die nicht derlei Methoden anwenden.

Benjamin von Stuckrad-Barre hat so seine Methoden. Das ist ein Gewinn zum Beispiel auf Lesungen. Wenn er zur Literatur bittet, wird’s anders als bei anderen, lustiger ganz sicher. Dabei hat er doch diesmal ein ernstes Anliegen.

Benjamin von Stuckrad-Barres Bestseller über Macht und Machtmissbrauch

Benjamin von Stuckrad-Barre, der Erfolgsautor des ersten Literaturhalbjahres, las am Donnerstagabend, es war der vorletzte Termin einer längeren Lesereise, in der Markthalle aus dem neuen Buch, das so untrüglich ein Schlüsselroman ist über mächtige Männer und trächtige Unternehmen, über Menschen und Institutionen, die angefüllt sind von sexistischem Unrat und schlechtem Verhalten.

Die Kommentatorinnen haben abgewunken, manchmal: dass sich nun ein Mann aufschwingt, um von einem System, von dem er doch auch selbst zwangsläufig profitiert hat, auf so bloßstellende Weise zu künden.

Ein persönlich wirkendes Angefasstsein Stuckrad-Barres

Man hat dieses Buch eine Enttäuschung genannt, weil es im Klatsch und Tratsch ende. Ein Buch, das doch in Wirklichkeit, auf unnachahmliche Stuckrad-Weise (viele beneiden ihn um seine messerscharfe Diktion), von Sachverhalten erzählt, die zu schildern sich einer halt aufraffen musste.

Gut, dass es einer war, der eines nun mal kann: unterhaltsam erzählen. Wobei man, das sei nicht verschwiegen, bei aller Dringlichkeit des Großthemas das sehr persönlich wirkende Angefasstsein Stuckrad-Barres doch die ganze Zeit schon ziemlich nennenswert findet.

Markthalle: Stammgast Stuckrad auf Bukowskis Spuren

Aber ausgerechnet in der Markthalle („Ein fucking Tempel für mich, die Halle meiner Träume – hier war 1978 die einzige Deutschland-Lesung Charles Bukowskis“), wo Stammgast Stuckrad-Barre vor eindeutigen Fans las, Leuten also, denen es im Zweifel auch egal ist, ob er über Springer oder Springreiten schreibt, kam einem aber der Gedanke, dass Stuckrad-Barres konzertierte Werbeaktion mit Bill Kaulitz, Frank Schätzing, Christian Ulmen, Caren Miosga und Linda Zervakis vielleicht auch eine Bodyguardaktion war: Wenn man sich mit mächtigen Leuten anlegt – vielleicht ist die größte Gefahr gar nicht, dass ein Roman wegen vermeintlicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten verboten wird –, schadet es nie, sich mit berühmten Menschen zu umgeben.

Stuckrad-Barre in Hamburg: Spitze gegen kleinere Städte

In der Markthalle sah man beinah keinen von jenen, und man weiß, dass sich der 48-Jährige zuletzt auf den Bühnen des Landes („Wo sind denn jetzt alle?“) auch mal in die einsame Seele hat blicken lassen.

Aber dieses Hamburg, das nahm man dem unverdrossen über weniger strahlkräftige Städte lästernden („Damit ich nicht abhebe, haben sie sich wohl gedacht: Dazwischen immer mal ‘nen Downer, schicken wir ihn auch nach Würzburg“) Mann auch diesmal gerne ab, ist dem Lindenberg-Freund und zwischenzeitlich hier ansässigen Meist-Berliner eine Art Zuhause.

Weshalb er gleich zu Beginn der Stucki-Show durch die gut besetzten – 550 Leute mögen da gewesen sein – Reihen sprang und sich feiern ließ zu den Klängen von Falcos „Out Of The Dark“.

Entertainer Stuckrad-Barre: Selbstironie in der Größe eines Ozeans

Stuckrad-Barre in der Markthalle Hamburg:Gestreift kann er tragen. Macht er auch immer.
Stuckrad-Barre in der Markthalle Hamburg:Gestreift kann er tragen. Macht er auch immer. © Marcelo Hernandez

Weshalb er außerdem, wenn er es denn bemerkte, freundlich darüber hinwegging, dass das Publikum gerade dann zum Bierstand strebte, wenn er aus „Noch wach?“ las. Und eben nicht anderweitig Faxen machte. Das wollte niemand verpassen.

Stuckrad-Barre ist ein Entertainer, ein Erzähler, bei dem die Selbstironie nicht in der Größe eines Bades daherkommt, das er nimmt, nein: Es hat die Größe eines ganzen Ozeans. Also hörte man ihm nur zu gerne dabei zu, wie er kursorisch erst das Bohei um seinen Roman behandelte, um dann bei einem pseudotiefsinnigen Auftritt im Kulturfernsehen zu landen.

„Noch wach?“: Stuckrad-Barre liest mit authentischer Wut

Das war ausschließlich komisch, und das kann man halt von „Noch wach?“ nicht behaupten. Stuckrad-Barre las die Stellen, die das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen beschreiben. Die die Lächerlichkeit von brünstigen Alphatieren ausstellen und die an einem bestimmten Punkt zu konstatierende Hilflosigkeit von Frauen, derer sie sich bedienen.

Stuckrad-Barre las so, dass man die Wut des Erzählers hinter der oft dialogisch dargebotenen zwischenmenschlichen Katastrophen-Szenerie durchaus zu vernehmen glaubte. Und die in seinem Text verewigte Infragestellung des männlichen Ritters. Er muss ja erst mal belehrt werden: „Ich will dir mal was erzählen über deine sensationelle Neuentdeckung Sexismus: Das ist überall, jeden Tag. Get over it!“

Man hat, siehe auch seinen Suchtroman „Panikherz“, immer gerne dabei zugehört, wenn er auch von unschönen Dingen berichtete. Dieser Autor hat die (Selbst-)Beobachtungsgabe als Waffe, den oft nicht mal subtilen Spott, der auch als eine für ihren Urheber gerade noch erträgliche Form von Selbstkritik daherkommen kann. War es an diesem Abend anders?

Stuckrad-Barre fummelt sich an der Nase rum – mit Koks-Ängsten

Nicht unbedingt, aber #MeToo ist halt anstrengend und manchmal auch kompliziert. Was Stuckrad-Barre mit seiner Erzählerposition auch offenherzig zeigt. Anstrengend ist übrigens auch der Ventilator in der Markthalle, man hätte dem schniefenden und sich an der Nase rumfummelnden Künstler („Ich habe ein bisschen Schnupfen, aber immer Angst, man denkt, ich sei wieder auf Koks“) gerne ein Taschentuch gereicht.

Man hatte Stuckrad-Barre ein paar Wochen vor dem Markthallen-Auftritt schon als Stargast aus der Literatur bei der Medienmesse OMR gesehen. Gut, er war da eh fehl am Platz, irgendwie; als am Ende Doch-auch-Old-School-Vertreter einer altmodischen Profession, die Station bei der zukunftsgeilen Digital-Branche machte. Aber dass er ein wenig erschöpft aussah, könnte auch am Transit durch Land und Leser gelegen haben.

Stuckrad-Barre in Hamburg: Zwinkerzwinker-Modus in der Markthalle

Und vielleicht auch daran, dass halt doch ganz viel Reales in diesem Stoff steckt, was die Angelegenheit nicht nur im Buch zu einem zerfasernden Kuddelmuddel macht. Stuckrad-Barre stellte in Hamburg erneut die formelhaft wiederholte, im Zwinkerzwinker-Modus fast schon leiernde Äußerung („Das ist alles komplett ausgedacht und sehr, sehr fiktional – der Ich-Erzähler bin zum Beispiel auch nicht ich, der ist sehr dumm; ich habe mich schon gefragt, ob ich mich verklage“) in den Raum, in dem Roman ginge es selbstredend um Erfundenes.

Das Döpfnernde und besonders das Verreichelte des Plots ist aber evident und wahrscheinlich für den, der diese Bezüge ständig mithört, der Schlüsselloch-Punch des Stoffs. Könnte mental belastend sein, sich nicht nur an den Zuständen in Medienunternehmen und einer patriarchalisch geprägten Arbeitswelt abzuarbeiten, an #MeToo und alten Weggefährten, ja auch an der eigenen Vergangenheit.

Die Vokabel „Springer“ rutscht erst sehr spät heraus

Wobei, was das angeht – jetzt, am Ende seiner Tournee, gelang es dem hektisch daherrauchenden Stuckrad-Barre augenscheinlich noch mal, letzte Kräfte zu mobilisieren. Stuckrad-Barre war in der Markthalle die hibbelige, immer aufgeregte, immer gedanklich schnelle Bühnenrakete, gepusht und pushend von und mit dem wie üblich extrem energiegeladen-überschüssigen Aufgedrehtsein.

Die Vokabel „Springer“ rutschte ihm erst ganz zum Ende heraus, und als Themenabend #MeToo hat die Lesung doch leidlich gut funktioniert: Vielleicht gerade, weil das Lachen da, wo Stuckrad-Barre – natürlich „total erfundene“ – hochnotpeinliche Handynachrichten des balzenden, sehnenden, sexuell erregten, manipulativen Chefredakteurs vorlas, fast ausblieb.

Am Ende gab es ein Ständchen für Danger Dan

Wenn alles „erfunden“ ist, befreit man sich, erst recht beim Bühnenauftritt, auch von den Erfordernissen vollkommenen Aufrichtigseins. Stuckrad-Barres Alter Ego ist im Roman zwar nachdenklich hinsichtlich seiner Rolle als „Retter“ der begrabschten Frauenriege.

Aber eben nicht superhart gegenüber sich selbst und im Hinblick auf die Frage, ob das denn wirklich so sein musste, das lange Halbwegs-Dazugehören zu Kreisen, die er erst nachträglich so fürchterlich findet.

Zum Schluss sang, auf Geheiß des Autors hin, die Markthalle dem Stuckrad-Barre-Kumpel Danger Dan ein Geburtstagsständchen. Wie sollte man Stuckrad-Barre diesen Wunsch abschlagen? Danger Dan ist bekanntlich auch einer von den Guten.